Hybris und Kritikunfähigkeit als Ursache für Medienverdrossenheit
Mangelndes Selbstbewusstsein kann man bei Christoph Herwartz (Jahrgang 82) nicht entdecken. Seine Biografie ist vielleicht typisch für die neue Generation von "Thirty Somethings", die zurzeit in den Redaktionen von Rundfunk und Presse Karriere macht:
"Christoph Herwartz, Jahrgang 1982, ist Diplom-Politikwissenschaftler und
Absolvent der Kölner Journalistenschule. Nach Stationen bei Zeit Online
und als Sprecher eines Jugendverbandes kam er 2012 zu n-tv.de. Er ist
Redakteur im Ressort Politik und schreibt unter anderem über Außen- und
Sicherheitspolitik, Geheimdienste, die Europäische Union und die
Linkspartei." (Quelle n-tv)
Christoph Herwartz glaubt nun, die Ursachen für die in weiten Teilen der Bevölkerung um sich greifende Medienverdrossenheit entdeckt zu haben:
Der junge n-tv Redakteur greift hier auf eine prototypische Argumentation zurück, wie sie in den letzten Wochen oft zu lesen war: Die Medienkritiker sind pauschal bestenfalls vom gesellschaftlichen Leben abgehängte, der Rhetorik kaum mächtige Zeitgenossen, die - was sonst - Verschwörungstheorien anhängen. Kommt das einigen Beobachtern bekannt vor? Sicher: Die Begriffe "Putinversteher" oder "Trolle" sind seit einigen Monaten Standard, um Kritiker der agitatorischen und höchst unsachlichen Ukraineberichterstattung zu diffamieren. Das änderte sich nicht einmal, als selbst der ARD-Programmbeirat zur Kritik gegen die eigenen Redaktionen ansetzte. In der "Welt" sah man zu diesem Zeitpunkt sogar in diesem ARD-Gremium "Putins langen Arm" am Werk...
Der unfassbare Text noch einmal zur Erinnerung:
Zurück zu Herwartz. Der fiel mir zunächst mit einem Beitrag über Helmut Schmidt auf. Dieser hatte sich besorgt über die konfrontative Politik des Westens in der Ukrainekrise geäußert und dabei auch und vor allem die Vorgeschichte des Konfliktes im Auge behalten. Herwartz hatte die Bedenken des Altkanzlers vom Tisch gewischt und unter der Überschrift "Helmut Schmidt sagt nicht die Wahrheit" kommentiert.
Herwartz arbeitet weder die Vorgeschichte des Konfliktes, die Expansion des Westens Richtung Osten, noch die Einmischung westlicher Politiker in Kiew in den Kommentar ein. Doch eben daran denkt Helmut Schmidt, wenn er seine Warnungen ausspricht. Respekt vor der außenpolitischen Erfahrung des Altkanzlers, den Blick des Altkanzlers als Zeitzeuge? Fehlanzeige! Wie bei vielen seiner Kollegen auch. Doch Schmidt steht nicht allein: Hans-Dietrich Genscher, Henry Kissinger oder Egon Bahr, die Liste der Bedenkenträger westlicher Ukrainepolitik liest sich wie das Who-is-Who gesammelter außenpolitischer Erfahrung. Die Reaktionen deutscher Journalisten von Ina Ruck über Golineh Atai bis Birgit Schmeitzner und eben Christoph Herwartz, um nur einige zu nennen, sind immer gleich: Die Kritiker sind nicht mehr im Geschäft, haben keine Kenntnis der aktuellen Situation oder sagen gar die Unwahrheit. Man selbst ist dagegen, Birgit Schmeitzner hat das auf Twitter oft durchklingen lassen, im Besitz der absoluten Wahrheit, die den Irrtum weder kennt noch zulässt. Da sind sie sich einig: Die Journalisten von Boris Reitschuster bis Udo Lielischkies. Jeder, der hier nicht folgt, ist, unabhängig von Ausbildung, Erfahrung und Expertise, ein "Troll", ein "Truther", ein "Putinagent" oder eben ein "Verschwörungstheoretiker".
Vor diesem Hintergrund lässt sich besser beantworten, warum die "Medienverdrossenheit" zunimmt.
Herwartz: "Das Potenzial, dass die Parallelwelt sich vergrößert, ist gegeben: 69
Prozent der Deutschen vertrauen den etablierten Medien nicht oder nur
wenig."
So richtig die Statistik ist, so falsch die Verkürzung der Ursachen. Nein, die Ursachen für die Medienverdrossenheit liegen nicht nur beim Unvermögen der Abgehängten. Sicher kommt es bei den Kritikern zu Überzeichnungen. Aber in einer Parallelwelt leben nicht nur sie. In einer Parallelwelt leben vor allem jene Redakteure, die sich jeder Kritik und Selbstkritik entzogen haben, die den Stuhl des Beobachters nur zu gerne mit dem des "Mitmischers" tauschen, deren Nähe zu den politischen Entscheidern keine alternativen Weltbilder mehr zulässt.
Und aus dieser Parallelwelt heraus haben sie das Publikum mittlerweile aus den Augen verloren. Jüngstes Beispiel: Golineh Atai ist "Journalistin des Jahres" 2014.
Die Ernennung einer der wohl umstrittensten ARD-Korrespondentinnen in Moskau ist nichts anderes als ein Funkspruch aus eben jener Parallelwelt, in der Herwartz eigentlich nur Teile der Kritiker sieht: Seht her, egal, was ihr, wen ihr und wie ihr kritisiert, es schert uns einen Dreck!
Wer die Medienverdrossenheit dieser Tage verstehen will, darf eben diese Hybris nicht verschweigen.
Stefan Slaby
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