Wer an der Autobahn 7 von
Hildesheim Richtung Süden fährt, entdeckt rechts ein futuristisches Gebäude am
Waldrand. Zuvor weist das Schild Harzhorn auf eine bedeutende archäologische
Grabung: Das Harzhorn. Die Schlacht am
Harzhorn, auch als Harzhornereignis bekannt, markiert einen bedeutenden Moment
in der römisch-germanischen Geschichte. Um 235/236 n. Chr., unter der
Herrschaft des ersten Soldatenkaisers Maximinus Thrax, trafen mehrere tausend
römische Legionäre und ihre Hilfstruppen auf eine unbekannte Anzahl
germanischer Krieger am Westrand des Harzes, nahe dem heutigen Kalefeld in
Niedersachsen. Diese Konfrontation, die erst 2008 durch archäologische Funde
bekannt wurde, widerlegt die lange gehaltene Annahme, dass die Römer nach der
Varusschlacht (9 n. Chr.) keine größeren Feldzüge mehr tief in Germanien
unternommen hätten. Dieser Artikel beleuchtet die historische Bedeutung der
Schlacht, die Ereignisse, die zu ihr führten, sowie die Geschichte der
archäologischen Ausgrabungen, die dieses Ereignis ans Licht brachten.
Historischer Kontext
Im 3. Jahrhundert n. Chr. stand
das Römische Reich unter Druck. Im Osten bedrohten die Sassaniden die Grenzen,
während germanische Stämme an Rhein und Donau für Unruhe sorgten. Kaiser
Severus Alexander (222–235 n. Chr.) verlor das Vertrauen seiner Legionen, was
zu einem Putsch führte, bei dem Maximinus Thrax (235–238 n. Chr.) den Thron
bestieg. Maximinus, ein erfahrener Militär, führte 235 n. Chr. einen
Rachefeldzug tief in germanisches Gebiet, vermutlich bis an die Elbe, um die
Germanen zu bestrafen und seine Autorität zu festigen.
Die Schlacht am Harzhorn
ereignete sich vermutlich auf dem Rückmarsch dieser Truppen. Das Schlachtfeld
liegt an einer strategisch wichtigen Stelle: einem engen Pass, der eine alte
Handelsroute kreuzte, heute durch die Bundesstraße 248 und die Autobahn A7
markiert. Dieser „Nadelöhr“-Pass, umgeben von steilen Hängen des
Harzhorn-Höhenzugs, bot den Germanen eine ideale Gelegenheit für einen
Hinterhalt.
Der Verlauf der Schlacht
Die genauen Details der Schlacht
sind aufgrund fehlender detaillierter antiker Quellen schwer zu rekonstruieren.
Archäologische Funde und die Geländebeschaffenheit lassen jedoch ein plausibles
Szenario zu. Die römische Armee, bestehend aus mindestens 1.000 Legionären,
Auxiliareinheiten, syrischen Bogenschützen und maurischen Speerschleuderern,
marschierte von Norden nach Süden durch das Tal am Harzhorn. Die Germanen,
vermutlich unter der Führung eines lokalen Anführers, nutzten die steilen Hänge
und den engen Pass, um die schwer beladenen römischen Trosskarren anzugreifen.
Die Römer reagierten mit einem
massiven Gegenangriff, unterstützt durch leichte Torsionsgeschütze
(Scorpio-Katapulte), die Bolzenspitzen verschossen. Archäologen fanden
zahlreiche Katapultbolzen, Pfeilspitzen und Speerspitzen, die auf intensive
Fernkampfhandlungen hinweisen. Nahkampfwaffen sind seltener, da diese
vermutlich von den Kämpfern mitgenommen oder geplündert wurden. Die Funde
deuten darauf hin, dass die Römer, dank ihrer überlegenen Militärtechnologie,
den Hinterhalt durchbrachen und als Sieger hervorgingen, da viele gut erhaltene
römische Artefakte zurückgelassen wurden – ein Zeichen dafür, dass sie das
Schlachtfeld kontrollierten.
Die Inschrift „LEG IIII“ auf
einer römischen Axt weist auf die Beteiligung der vierten Legion hin, während
Münzfunde, darunter eine abgegriffene Münze aus der Zeit des Kaisers Commodus
(180–192 n. Chr.), die Schlacht in die Regierungszeit von Maximinus Thrax
datieren.
Archäologische Entdeckung
Die Entdeckung des Schlachtfelds
am Harzhorn begann im Jahr 2000, als zwei Hobbyarchäologen mit Metalldetektoren
Artefakte fanden, darunter eine römische Pferdesandale (Hipposandale). Sie
meldeten ihre Funde der Kreisarchäologie Northeim, was ihnen fast eine
Strafanzeige eingebracht hätte, die 2008 mit systematischen Untersuchungen
begann. Die Amtsarchäologen stellten fest,
dass es sich nicht um ein römisches Lager, sondern um ein ausgedehntes
Schlachtfeld handelte.
Das Schlachtfeld: eigene Aufnahme
Die archäologischen Arbeiten
wurden von einem Team des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, der
Kreisarchäologie Northeim und der Freaver Freien Universität Berlin unter der
Leitung von Prof. Dr. Michael Meyer durchgeführt. Seit 2008 wurden über 2.700
Artefakte geborgen, darunter Sandalennägel, Katapultbolzen, Pfeil- und
Speerspitzen, Wagenteile, Zeltheringe und ein fragmentarisches Kettenhemd eines
römischen Soldaten – der erste derart gut erhaltene Fund auf einem
römisch-germanischen Schlachtfeld.
Die Ausgrabungen konzentrierten
sich auf den Hauptkamm des Harzhorns, wo eine hohe Funddichte an römischen
Metallteilen festgestellt wurde. Besonders bemerkenswert ist die exzellente
Erhaltung der Funde, die auf das basische Milieu des Kalksteinbodens zurückzuführen
ist. Einige Geschossbolzen und Pfeilspitzen steckten noch in Felsspalten, was
auf Fehlschüsse während des Gefechts hinweist.
Im Jahr 2010 wurde ein zweiter
Fundplatz etwa zwei Kilometer südlich am Kahlberg entdeckt, was zeigt, dass
sich die Kampfhandlungen über ein größeres Gebiet erstreckten. Die
Prospektionen mit Metalldetektoren und gezielte Grabungsschnitte, die von 2009
bis 2013 und erneut 2018 durchgeführt wurden, ermöglichten es, einzelne
Gefechtsabschnitte wie gezielte Pfeilsalven oder Infanterieangriffe
nachzuvollziehen.
Wissenschaftliche und
touristische Bedeutung
Die Funde am Harzhorn haben die
historische Forschung revolutioniert. Sie belegen, dass die Römer im 3.
Jahrhundert tief in Germanien operierten, was die bisherige Annahme widerlegt,
dass sie nach der Varusschlacht und den Feldzügen des Germanicus (14–16 n.
Chr.) keine größeren Vorstöße mehr unternahmen. Das Harzhornereignis gilt neben
Kalkriese als eines der am besten erhaltenen antiken Schlachtfelder Europas und
bietet einzigartige Einblicke in die römische Militärtechnologie und Taktik.
Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft förderte von 2017 bis 2020 das Projekt „Archäologische
und geoarchäologische Untersuchungen am germanisch-römischen Schlachtfeld
Harzhorn“, das die Erhaltungsbedingungen und Fundverteilungen systematisch
untersuchte. Die Ergebnisse wurden in einer dreibändigen Monographie
veröffentlicht, die als Band 77 der „Römisch-Germanischen Forschungen“
erschien.
Touristisch wurde das Gelände
unter dem Slogan „Römerschlacht am Harzhorn“ als archäologisches
Freilichtmuseum erschlossen. Ein Drei-Stufen-Plan sah den Ausbau der
Infrastruktur vor, darunter ein Informationsgebäude, Rundwege, Schautafeln und
ein Aussichtsturm. Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für
Kultur und Medien sowie EU-Mittel, lockt das Harzhorn heute Besucher mit
Führungen, Reenactment-Veranstaltungen und Sonderausstellungen wie „Roms
vergessener Feldzug“ (2013–2014) im Braunschweigischen Landesmuseum.
Resumée
Die Schlacht am Harzhorn und ihre
archäologischen Ausgrabungen haben nicht nur die römische Militärgeschichte in
Germanien neu beleuchtet, sondern auch gezeigt, wie moderne Archäologie
historische Narrative korrigieren kann. Die Funde, von Katapultbolzen bis hin
zum Kettenhemd, erzählen die Geschichte eines dramatischen Zusammenstoßes, der
fast 1.800 Jahre im Verborgenen lag. Durch die fortlaufende Erforschung und
touristische Erschließung bleibt das Harzhorn ein lebendiges Zeugnis der
römisch-germanischen Beziehungen und ein faszinierendes Ziel für
Geschichtsinteressierte.