Dienstag, 6. Mai 2025

Die Schlacht am Harzhorn und ihre archäologischen Ausgrabungen

 


Wer an der Autobahn 7 von Hildesheim Richtung Süden fährt, entdeckt rechts ein futuristisches Gebäude am Waldrand. Zuvor weist das Schild Harzhorn auf eine bedeutende archäologische Grabung: Das Harzhorn. Die Schlacht am Harzhorn, auch als Harzhornereignis bekannt, markiert einen bedeutenden Moment in der römisch-germanischen Geschichte. Um 235/236 n. Chr., unter der Herrschaft des ersten Soldatenkaisers Maximinus Thrax, trafen mehrere tausend römische Legionäre und ihre Hilfstruppen auf eine unbekannte Anzahl germanischer Krieger am Westrand des Harzes, nahe dem heutigen Kalefeld in Niedersachsen. Diese Konfrontation, die erst 2008 durch archäologische Funde bekannt wurde, widerlegt die lange gehaltene Annahme, dass die Römer nach der Varusschlacht (9 n. Chr.) keine größeren Feldzüge mehr tief in Germanien unternommen hätten. Dieser Artikel beleuchtet die historische Bedeutung der Schlacht, die Ereignisse, die zu ihr führten, sowie die Geschichte der archäologischen Ausgrabungen, die dieses Ereignis ans Licht brachten.

                                                              Info-Zentrum: eigene Aufnahme

                                                           
Historischer Kontext

Im 3. Jahrhundert n. Chr. stand das Römische Reich unter Druck. Im Osten bedrohten die Sassaniden die Grenzen, während germanische Stämme an Rhein und Donau für Unruhe sorgten. Kaiser Severus Alexander (222–235 n. Chr.) verlor das Vertrauen seiner Legionen, was zu einem Putsch führte, bei dem Maximinus Thrax (235–238 n. Chr.) den Thron bestieg. Maximinus, ein erfahrener Militär, führte 235 n. Chr. einen Rachefeldzug tief in germanisches Gebiet, vermutlich bis an die Elbe, um die Germanen zu bestrafen und seine Autorität zu festigen.

Die Schlacht am Harzhorn ereignete sich vermutlich auf dem Rückmarsch dieser Truppen. Das Schlachtfeld liegt an einer strategisch wichtigen Stelle: einem engen Pass, der eine alte Handelsroute kreuzte, heute durch die Bundesstraße 248 und die Autobahn A7 markiert. Dieser „Nadelöhr“-Pass, umgeben von steilen Hängen des Harzhorn-Höhenzugs, bot den Germanen eine ideale Gelegenheit für einen Hinterhalt.

Der Verlauf der Schlacht

Die genauen Details der Schlacht sind aufgrund fehlender detaillierter antiker Quellen schwer zu rekonstruieren. Archäologische Funde und die Geländebeschaffenheit lassen jedoch ein plausibles Szenario zu. Die römische Armee, bestehend aus mindestens 1.000 Legionären, Auxiliareinheiten, syrischen Bogenschützen und maurischen Speerschleuderern, marschierte von Norden nach Süden durch das Tal am Harzhorn. Die Germanen, vermutlich unter der Führung eines lokalen Anführers, nutzten die steilen Hänge und den engen Pass, um die schwer beladenen römischen Trosskarren anzugreifen.

Die Römer reagierten mit einem massiven Gegenangriff, unterstützt durch leichte Torsionsgeschütze (Scorpio-Katapulte), die Bolzenspitzen verschossen. Archäologen fanden zahlreiche Katapultbolzen, Pfeilspitzen und Speerspitzen, die auf intensive Fernkampfhandlungen hinweisen. Nahkampfwaffen sind seltener, da diese vermutlich von den Kämpfern mitgenommen oder geplündert wurden. Die Funde deuten darauf hin, dass die Römer, dank ihrer überlegenen Militärtechnologie, den Hinterhalt durchbrachen und als Sieger hervorgingen, da viele gut erhaltene römische Artefakte zurückgelassen wurden – ein Zeichen dafür, dass sie das Schlachtfeld kontrollierten.

Die Inschrift „LEG IIII“ auf einer römischen Axt weist auf die Beteiligung der vierten Legion hin, während Münzfunde, darunter eine abgegriffene Münze aus der Zeit des Kaisers Commodus (180–192 n. Chr.), die Schlacht in die Regierungszeit von Maximinus Thrax datieren.

 

Archäologische Entdeckung

Die Entdeckung des Schlachtfelds am Harzhorn begann im Jahr 2000, als zwei Hobbyarchäologen mit Metalldetektoren Artefakte fanden, darunter eine römische Pferdesandale (Hipposandale). Sie meldeten ihre Funde der Kreisarchäologie Northeim, was ihnen fast eine Strafanzeige eingebracht hätte, die 2008 mit systematischen Untersuchungen begann. Die Amtsarchäologen  stellten fest, dass es sich nicht um ein römisches Lager, sondern um ein ausgedehntes Schlachtfeld handelte.


                                                                Das Schlachtfeld: eigene Aufnahme

Die archäologischen Arbeiten wurden von einem Team des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, der Kreisarchäologie Northeim und der Freaver Freien Universität Berlin unter der Leitung von Prof. Dr. Michael Meyer durchgeführt. Seit 2008 wurden über 2.700 Artefakte geborgen, darunter Sandalennägel, Katapultbolzen, Pfeil- und Speerspitzen, Wagenteile, Zeltheringe und ein fragmentarisches Kettenhemd eines römischen Soldaten – der erste derart gut erhaltene Fund auf einem römisch-germanischen Schlachtfeld.

Die Ausgrabungen konzentrierten sich auf den Hauptkamm des Harzhorns, wo eine hohe Funddichte an römischen Metallteilen festgestellt wurde. Besonders bemerkenswert ist die exzellente Erhaltung der Funde, die auf das basische Milieu des Kalksteinbodens zurückzuführen ist. Einige Geschossbolzen und Pfeilspitzen steckten noch in Felsspalten, was auf Fehlschüsse während des Gefechts hinweist.

                                                              Markierungen an den Fundstellen: eigene Aufnahme

Im Jahr 2010 wurde ein zweiter Fundplatz etwa zwei Kilometer südlich am Kahlberg entdeckt, was zeigt, dass sich die Kampfhandlungen über ein größeres Gebiet erstreckten. Die Prospektionen mit Metalldetektoren und gezielte Grabungsschnitte, die von 2009 bis 2013 und erneut 2018 durchgeführt wurden, ermöglichten es, einzelne Gefechtsabschnitte wie gezielte Pfeilsalven oder Infanterieangriffe nachzuvollziehen.

Wissenschaftliche und touristische Bedeutung

Die Funde am Harzhorn haben die historische Forschung revolutioniert. Sie belegen, dass die Römer im 3. Jahrhundert tief in Germanien operierten, was die bisherige Annahme widerlegt, dass sie nach der Varusschlacht und den Feldzügen des Germanicus (14–16 n. Chr.) keine größeren Vorstöße mehr unternahmen. Das Harzhornereignis gilt neben Kalkriese als eines der am besten erhaltenen antiken Schlachtfelder Europas und bietet einzigartige Einblicke in die römische Militärtechnologie und Taktik.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte von 2017 bis 2020 das Projekt „Archäologische und geoarchäologische Untersuchungen am germanisch-römischen Schlachtfeld Harzhorn“, das die Erhaltungsbedingungen und Fundverteilungen systematisch untersuchte. Die Ergebnisse wurden in einer dreibändigen Monographie veröffentlicht, die als Band 77 der „Römisch-Germanischen Forschungen“ erschien.

Touristisch wurde das Gelände unter dem Slogan „Römerschlacht am Harzhorn“ als archäologisches Freilichtmuseum erschlossen. Ein Drei-Stufen-Plan sah den Ausbau der Infrastruktur vor, darunter ein Informationsgebäude, Rundwege, Schautafeln und ein Aussichtsturm. Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien sowie EU-Mittel, lockt das Harzhorn heute Besucher mit Führungen, Reenactment-Veranstaltungen und Sonderausstellungen wie „Roms vergessener Feldzug“ (2013–2014) im Braunschweigischen Landesmuseum.

Resumée

Die Schlacht am Harzhorn und ihre archäologischen Ausgrabungen haben nicht nur die römische Militärgeschichte in Germanien neu beleuchtet, sondern auch gezeigt, wie moderne Archäologie historische Narrative korrigieren kann. Die Funde, von Katapultbolzen bis hin zum Kettenhemd, erzählen die Geschichte eines dramatischen Zusammenstoßes, der fast 1.800 Jahre im Verborgenen lag. Durch die fortlaufende Erforschung und touristische Erschließung bleibt das Harzhorn ein lebendiges Zeugnis der römisch-germanischen Beziehungen und ein faszinierendes Ziel für Geschichtsinteressierte.