Freitag, 1. Juli 2022

Von der Varusschlacht zum Varusereignis? Kalkriese weiter in der Diskussion

An Pfingsten 2022 war es nach der Corona-Zwangspause wieder soweit. Reenacter aus Italien, Rumänien und Deutschland (Foto, eigene Aufnahme) trafen sich auf dem mutmaßlichen Schlachtfeld von Kalkriese bei Osnabrück, um an die Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus zu erinnern. Zuvor hatte der Streaming-Anbieter Netflix diesem Ereignis in "Barbaren" eine Serie gewidmet. Aber an was erinnern diese Akteure überhaupt? Bevor eine Antwort auf diese Frage versucht werden soll, ein Rückblick.


In der Niewedder-Senke, die sich in der Region Bramsche-Osnabrück befindet, hatten Bauern immer wieder Gegenstände im Boden entdeckt, die auf römische Präsenz hindeuteten. Das Dorf Kalkriese ist ganz in der Nähe und Mitte der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts ahnte dort noch niemand, dass der Ort bald weltbekannt werden sollte. Doch schon 100 Jahre zuvor war der Althistoriker Theodor Mommsen auf die Münzfunde im Osnabrücker Land aufmerksam geworden.  Er hatte daraufhin die Varusschlacht in dieser Region als möglichen Schauplatz verortet. 1987 nahm der 2014 verstorbene britische Offizier und Hobbyarchäologe "Tony" Clunn die Fährte auf und begann mit einem Metallsuchgerät seine Untersuchungstour in der Senke. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Ein Münzschatz mit 162 Denaren wurde zutage gefördert. Darüber hinaus fanden sich, was der Fundgeschichte eine entscheidende Wende gab, Schleuderbleie und zahlreiche römische Militaria. Es folgten eine Pionieraxt, die berühmte Gesichtsmaske (Foto Museum Kalkriese), Knochengruben, menschliche und tierische Skelettteile und schließlich später ein "Wall", der zunächst als Germanische Befestigung entlang eines römischen Marschweges gedeutet wurde... 




Rom in Nordwestdeutschland

Rom in Germanien - für viele sind das Städte wie Trier, Köln und Mainz, der Limes, der Südwesten, dort war "Rom in der kleinsten Hütte". Aber der Norden, das Münsterland, das Emsland, Ostfriesland und die Elbregion? Eine antike Brachfläche. Bestenfalls. Weit gefehlt: Um die Zeitenwende sahen diese Regionen große römische Feldzüge, ein Immensum Bellum; bekannte Namen wie Drusus und Germanicus aus kaiserlichen Familien, bedeutende militärische Kontingente der Römer und nachhaltige Siedlungen wie Haltern (Aliso) oder Waldgirmes, etwas weiter südlich, legen Zeugnis ab für den unbändigen Willen, diese Region für Rom zu unterwerfen.


                                                       Vetera (archäologischer Park, eigenes Bild)

Mit Beginn des augusteischen Zeitalters hatten die Römer ihre Grenze bis zum Rhein vorgeschoben. Kastelle wie Vetera (Xanten), das in den Varusereignissen eine Schlüsselrolle als Versorgungsbasis spielte, Köln und Mainz sicherten die Grenze. Jenseits des Rheins wohnten die Barbaren, ein Gewirr von Stämmen, Chauken und Cherusker an der Weser, Ampsivarier im Emsland, Bructerer im Münsterland, Marser an der Ruhr, uneins, zerstritten, manche bereit zum Bündnis mit Rom, andere wie Tiere, wie Tacitus abfällig spottete. Dazu eine Landschaft wie aus einem römischen Alptraum. Tiefe Wälder, Höhen, Hohlwege, schlechtes Wetter und eine barbarische Lebensweise. Bernstein, Frauenhaar, Schweine und Pferde waren Handelswaren, für die sich die Römer durchaus interessierten. Diese wurden an den Außenposten des Reiches, etwa in Xanten (Vetera), umgeschlagen.




Germanien zur Zeitenwende (Quelle Universität Osnabrück, Institut für Geschichte)
                                            
Diese Stämme stießen immer wieder auf römisches Gebiet vor. Bildeten eine permanente Bedrohung für die Römer. Kaiser Augustus wollte diese Bedrohung bändigen. Drusus, der Bruder des Tiberius, ist im Nordwesten zunächst erfolgreich. Bataver, Friesen und Chauken werden unterworfen. Germania Capta, den Triumph kann der Feldherr nicht mehr ernten, er stirbt nach einem Reitunfall an der Elbe. Die ist nun das Ziel der römischen Vorstöße. Die römische Vorgehensweise folgt dabei einer bestimmten Routine. In den warmen Jahreszeiten stoßen die Römer auf und entlang der Lippe nach Osten vor, handeln, halten in Sommerlagern wie Barkhausen bei Porta Westfalica Gericht und intervenieren in Stammeskonflikten. Dabei errichten sie entlang des Weges Etappenlager wie Oberaden, Bielefeld-Sennestadt und Anreppen. Im Spätsommer machen sie sich wieder auf den Weg zu ihren Winterlagern. Haltern bei Münster ist hier zu nennen. Und nichts darf diesen Rhythmus stören...


                                            Haltern (Aliso) Nachbau eines Tores Foto: LWL

Selbstüberschätzung und ein Verrat: Varus und Arminius

Was berichten römische Quellen über den weiteren Verlauf der Ereignisse in "Germania Capta"? Die Germanen hatten sich zunächst mit der römischen Präsenz arrangiert, ohne ihre Lebensgewohnheiten aufzugeben. Bis Quinctilius Varus "das Kommando" (Cassius Dio) in Germanien übernahm. Der Mann ist ein Karrierist und "harter Hund". Das hatte er zuvor in Syrien bewiesen. In Judäa schlug er in der Nachfolgefrage Herodes des Großen einen Aufstand nieder. Spielfilme über Jesus von Nazareth zeigen lange Reihen Gekreuzigter - und das ist nicht übertrieben. Es ist unlogisch anzunehmen, dass Varus diese Praxis in Germanien nicht fortsetzte. Die freiheitsliebenden Germanen jedenfalls beginnen sich gegen Varus zu empören. Cassius Dio 18/3:

(...) als aber Quinctilius Varus das Kommando in Germanien übernommen hatte und die Verhältnisse bei ihnen auf Grund seiner Amtsgewalt zu ordnen suchte, war er bestrebt, sie schneller völlig umzuformen; er gab ihnen generell Befehle, als ob sie schon in Knechtschaft lebten, und trieb von ihnen Tribute ein.

Die entehrende Kreuzesstrafe, falls Varus sie anwandte, und Tributeintreibungen, trafen hier auf einen Gegner, der solche Demütigungen nicht hinnehmen wollte. Doch wer sollte den Widerstand organisieren?

Jetzt betrat eine weitere Schlüsselfigur die Bühne. Seine römischer Name war Arminius, Hermann heißt er erst seit Martin Luther. Arminius war als Kind nach Rom gebracht worden. Das Kind sollte römisch erzogen werden und später als treuer Bundesgenosse nach Germanien zurückkehren. Sein Vater Segimer leistet seinem Stammesgenossen Segestes zunächst Gefolgschaft. Dieser Arminius bewährte sich, wie sein Bruder, bei den Römern, wurde laut Quellen von Kaiser Augustus in den Ritterstand erhoben. Er lernte die Annehmlichkeiten des Lebens schätzen, seine Identität wechselte er wohl nicht, er blieb im Herzen Cherusker. Und er lernte als Angehöriger der Hilfstruppen noch etwas anderes: Rom war in offener Feldschlacht nicht zu besiegen!

Dieser Arminius kehrte nun in seine Heimat zurück. Was er dort sah, wissen wir nicht, aber es scheint ihn abgestoßen und empört zu haben. Jetzt kreuzten sich die Wege des Arminius und des Varus zu einer entscheidenden Wende der Weltgeschichte. Arminius sollte den selbstverliebten Varus in eine Falle locken, was dieser bis zuletzt nicht wahrhaben wollte.

Marsch ins Verderben

Die vorliegenden Quellen erlauben nur sehr eingeschränkt eine Rekonstruktion der Ereignisse aus dem Jahre 9 nach Chr., weil feste Plätze, die als Bezugspunkte dienen könnten, fehlen. Varus nahm vermutlich mit den Legionen 17,18 und 19 den üblichen Weg die Lippe hinauf bis zu einem Lager an der Weser. In Barkhausen bei Porta Westfalica fanden Archäologen die Reste eines solchen Lagers. Dieses Sommerlager nutzte der Römer für Gerichtshandlungen und Tributzahlungen. Im Spätsommer oder Frühherbst musste Varus aufbrechen, um rechtzeitig die Winterlager an Rhein und Lippe zu erreichen. Infrage kommen hier Haltern und Vetera am Niederrhein. Nimmt man Lager in Bielefeld-Sennestadt, Anreppen, Oberaden und Olfen hinzu, dann lässt sich ein Weg durch die heutige Region Herford, Detmold, Bielefeld und Hamm annehmen. Diesen Weg hätte Varus nehmen müssen.

Doch hier setzte nun das Ablenkungsmanöver des Arminius an. Er lockte Varus mit dem Hinweis auf einen lokalen Aufstand jenseits des Marschweges von der Route weg. Varus misstraute trotz mehrfacher Warnungen Arminius nicht. Irgendwo auf der Route, wahrscheinlich zwischen Osnabrück und Detmold, "in der Nähe des Teutoburger Waldes" verließ Varus mit seinem Tross aus Soldaten, Frauen, Kindern und Ausrüstung den Weg. Ein Heerwurm von bald 20 Kilometer Länge schlängelte sich nun durch unwegsames germanisches Gelände. Damit nicht genug: Über dem Atlantik hatte sich ein Sturmtief zusammengebraut und zog Richtung "Nordwest-Germanien". Die römischen Chronisten (hier Cassius Dio 20/3) berichten davon, dass Sturm und Unwetter den Truppen zu schaffen machten.

(3) Noch dazu wurde die Kolonne durch heftigen Regen und Sturmwind weiter auseinandergezogen; der Boden war an den Wurzeln und Enden der Stämme ziemlich schlüpfrig geworden, so daß sie immer wieder ausglitten; vom Sturm zerborstene Baumkronen stürzten auf sie nieder und brachten sie in Verwirrung. 

Die schwere Ausrüstung der Römer saugte sich mit Regenwasser voll, die Germanen waren nur leicht bekleidet und ausgerüstet. Ihnen machte das Wetter nichts. Und so griffen nun die Germanen in einer wohl von Meldereitern gut koordinierten Aktion den römischen Tross mehrfach an. Die konnten nicht wie gewohnt in offener Formation kämpfen und wurden durch eine ihnen fremde Guerillataktik über wahrscheinlich drei bis vier Tage zermürbt.


                                            "Schildkröte" in Kalkriese (eigene Aufnahme)

Varus wollte Tempo zulegen und ließ seine Pfeilgeschütze verbrennen. Wie weit die Römer von der Route abwichen, das ist unbekannt. Die Kalkriese-These lässt die Spitze der Römer bis in die Nähe von Bramsche vorstoßen. Hier, eingeschlossen von einem Germanischen Wall zur Linken und einem Sumpf zur Rechten, gingen sie in die Falle. In einem stundenlangen Gemetzel gingen die Reste der Legionen unter. Varus selbst tötete sich mit seinem Schwert. Man trennte seinen Kopf ab und schickte ihn dem Markomannen-König Marbod nach Böhmen. Vae Victis, Wehe den Besiegten, so lautete eigentlich das Motto der Römer. Nun bekamen sie es selbst zu spüren. Römische Offiziere wurden den germanischen Göttern geopfert, auch bei den Soldaten durfte sich glücklich schätzen, wer gefallen war. Tacitus Annalen 61,3:

"In den benachbarten Hainen (fand man) Altäre der Barbaren, bei denen man die Tribunen und Centurionen ersten Ranges geopfert hatte." 

Das Schlachtfeld wurde von den Germanen gründlich geplündert. Feldzeichen, Metalle, Waffen und Ausrüstung verschwanden bei den Stämmen der Umgebung. Die Toten blieben unbestattet liegen. Nur wenige Überlebende konnten sich bis zum Lager Haltern durchschlagen. Sie gerieten in Ungnade und durften Rom und Italien nie wieder betreten. Die Germanen griffen weitere Stützpunkte der Römer an, kamen aber nicht über den Rhein oder gar bis Gallien.

Neue Zweifel an Kalkriese

Es war Germanicus, Vater des Caligula, der Jahre nach der Niederlage das Schlachtfeld des Varus betrat. Germanicus war von Augustus gemäß seiner Nachfolgeregelung als Imperator nach Tiberius vorgesehen. Nun sollte er, 5 Jahre später, den Status Quo ante bellum wieder herstellen und die Ehre der Römer rehabilitieren. Tacitus berichtet zunächst von Feldzügen gegen die Marser zwischen Ruhr und Lippe. Auch das Bündnis mit den Nordsee Küstenstämmen sollte er wieder herstellen. Tatsächlich gelang es, Beutestücke und Feldzeichen der untergegangenen Legionen sicherzustellen, Segestes, Gegner des Arminius, diente sich den Römern ein weiteres Mal an. Seine eigene Tochter Thusnelda, Gattin des Arminius, geriet schwanger in römische Gefangenschaft.

Die Aussicht, wieder unter Kontrolle der Römer zu geraten, ließ die Stämme in Nordwestdeutschland unter Arminius nun erneut zu den Waffen greifen. Dagegen wollte Germanicus vorgehen. Durch das heutige Münsterland, über die Ems und durch Teile der Niederlande stießen drei römische Armeegruppen vor. Das Land der Bructerer (Münsterland) wurde von Xanten (Vetera) aus von den Römern durchzogen und verwüstet. Eine Flotte von 1000 Schiffen stieß vom Dollart kommend die Ems hinauf vor und benutzte wohl den Fundplatz Bentumersiel im Landkreis Leer (Ostfriesland) als Nachschubbasis. Von da aus ging es weiter an den Mooren des heutigen Papenburg vorbei, schließlich über Haren und Lingen nach Süden. Die römische Reiterei unter Pedo gelangte aus den heutigen Niederlanden bis in die Region Rheine (die Ems ist bis Greven schiffbar). Dort war vielleicht der Treffpunkt der drei Heeresgruppen.

Entscheidend für den Schlachtort Kalkriese ist die Tatsache, dass es in diesem Feldzug zu weiteren Gefechten zwischen Römern und Germanen kam. Damit ist Kalkriese bei Osnabrück auch potenzielles Schlachtfeld der Germanicus-Feldzüge der Zeit um 16 nach Chr. Im Rahmen dieses Krieges betrat Germanicus nun den Ort der Varusschlacht. Dazu Tacitus:

Man sandte Caecina voraus, um die [S. 87] verborgenen Waldschluchten zu erforschen und Brücken und Dämme über die feuchten Sümpfe und trügerischen Ebenen anzulegen; dann betraten sie die traurigen Stätten, schmachvoll für den Anblick und die Erinnerungen. (2) Das erste Lager des Varus erwies sich dem weiten Umfang und den Ausmaßen des Hauptquartiers nach als das Werk dreier Legionen; dann erkannte man an dem halbzerstörten Wall und dem flachen Graben (die Stelle), an der sich die bereits dezimierten Reste niedergelassen hatten. Auf der Ebene dazwischen lagen die bleichenden Gebeine, zerstreut oder haufenweise, je nachdem, ob sie geflohen waren oder Widerstand geleistet hatten. (3) Daneben lagen Bruchstücke von Geschossen und Pferdegerippe, und an den Baumstämmen hatte man Schädel festgemacht. 

Hier wird ausdrücklich auf Befestigungen der Römer hingewiesen. Dass nun ausgerechnet dieser Umstand gegen Kalkriese als Ort der Varusschlacht in Stellung gebracht wird, mutet seltsam an. Die Westfälischen Nachrichten aus Münster titelten schon 2016:

Neue Funde in Kalkriese stützen Zweifel an der Varusschlacht-Theorie

Tatsächlich war der "Germanenwall" in Kalkriese immer als Teil der "Falle" beschrieben worden, die Arminius den Römern gestellt hat. Die entdeckten Wallreste sind aber vielleicht Teil einer provisorischen römischen Befestigung, die in großer Eile angelegt wurde, wie Professor Dr. Salavatore Ortisi vom Grabungsteam gegenüber Medienvertretern erläuterte. Kein Widerspruch zum potenziellen Ort der Varusschlacht! Denn Tacitus berichtet ja über einen römischen Wall. Der Erzähler Lucius Annaeus Florus kommt in seiner Varusschlacht-Darstellung sogar zu einer völlig abweichenden Darstellung: Demnach wurde Varus während einer leichtsinnig einberufenen Gerichtssitzung in seinem Lager angegriffen, die Legionen werden also statt auf dem Marsch in ihrem Lager vernichtet. Aber: Florus bleibt mit seiner Geschichte allein. Die "Lagertheorie" hat sich nicht durchgesetzt.

Nicht auszuschließen ist freilich, dass es sich um Spuren einer Schlacht aus den Germanicus-Feldzügen handelt. Denn auch Einheiten des römischen Legaten Aulus Caecina waren während der Vergeltungsfeldzüge des Germanicus in der "Schlacht an den Langen Brücken" (pontes longi) im Jahre 15 nur knapp einem Desaster entgangen. Wichtig: Nur 10 Kilometer von Kalkriese entfernt liegt der Ort Hunteburg. Hier wurden Reste eines Knüppeldammes gefunden, die sich ins Jahr 15 datieren lassen. Auch Waffen mit Kampfspuren wurden hier zutage gefördert. War Kalkriese also eigentlich die Schlacht an den Langen Brücken? Sicher beantworten lässt sich das nicht, denn die Schlacht wurde in der Vergangenheit auch in Dülmen zwischen Münster und Coesfeld verortet. Aufschluss könnten nur neue Funde bringen. Die Fundlage bleibt aber mager und unzweifelhafte Hinweise auf die drei vernichteten Legionen fehlen bislang an allen Fundorten.

Zweifel aufgrund der Quellen

Weit schwerer wiegen Widersprüche, die sich aus einer kritischen Analyse der Quellen bei Cassius Dio ergeben. Wenn Varus den Weg von Minden Richtung Haltern nahm, dann bewegte er sich weiter südlich als das Schlachtfeld von Kalkriese. Hinzu kommt, dass Cassius Dio und auch Tacitus das Schlachtfeld als verlassen, zerklüftet und unwegsam beschreiben. Der Teutoburger Wald zeigt solche Charakteristika eher Richtung Detmold und im Münsterland an den Dörenther Klippen. Nach der Vernichtung der Varus-Legionen gerieten die Germanen zudem gefährlich nahe an weitere römische Lager an der Lippe (Anreppen oder Oberaden). Auch das spricht eher für ein Schlachtfeld südlicher in der Region Bielefeld, Paderborn, Detmold (Karte unten), auf der Südroute nahe der heutigen Autobahn A2 zurück aus dem Raum Minden. Für Kalkriese nördlich von Osnabrück dagegen muss Varus enorm vom Weg abgewichen sein. In den Hinweisen auf die Vergeltung des Germanicus ist bei Tacitus zudem von der Region zwischen Ems und Lippe die Rede. Auch bei dieser Angabe macht Kalkriese nicht wirklich Sinn. Es sind also topographische und geografische Zweifel, die schwerer wiegen als die Entdeckung eines potenziellen römischen Walles bei Kalkriese.


                                                        Quelle: Unizeitung Münster


Doch alle Alternativorte können keine Militaria vorweisen, da ist Kalkriese, wenn auch in bescheidenem Maße, vorne. Kaum wegzudiskutieren sind die Knochenfunde in Kalkriese, die in Gruben bestattet wurden. Diese wiesen Spuren von Tierfraß auf, lagen also länger offen herum. Die Quellen berichten, dass Germanicus Bestattungen solcher Gebeine vornahm. Das heißt schon etwas, wenn europaweit die Suche nach antiken Schlachtfeldern wie Cannae mühsam und meist ergebnislos bleibt. Aber: Nur neue Funde und Analysen werden das Rätsel um den Ort der Varusschlacht endgültig lösen! Fest steht: Die Stämme Nordwestgermaniens haben Weltgeschichte geschrieben. Die Romanisierung Germaniens kam an Weser, Lippe Ruhr und Ems zum Stehen.

Nachtrag: Eine metallurgische Analyse konnte nun zweifelsfrei nachweisen, dass die 19. Legion, eine der Varus-Legionen, in Kalkriese zugegen war.



Genutzte Quellenedition: Landschaftsverband Westfalen-Lippe


abgerufen am 13.06.2022


Literatur

abgerufen am 01.07.2022

Neue Funde in Kalkriese stützen Zweifel an der Varusschlacht-Theorie (wn.de)

abgerufen am 01.07.2022

Streit um Kalkriese: Wo starben Varus’ Legionen wirklich? (chronico.de)

abgerufen am 15.06.2022

Bentumersiel (clades-variana.com)

abgerufen am 01.07.2022

LWL - Neue Überlegungen zur Varusschlacht - Westfalen Regional

abgerufen am 16.06.2022

Internet-Portal "Westfälische Geschichte" / ..14: Feldzüge des Germanicus (lwl.org)

abgerufen am 21.06.2022

Publikationen des Informationszentrums Kalkriese

Arminius, Varus und das Schlachtfeld von Kalkriese. Osnabrück 1999.

Kalkriese - Ort der Varusschlacht? Osnabrück 1994.

Eigene Studien

Althistorisches Seminar der WWU Münster 1990 zum Themenkomplex "Vetera (Xanten) und Kaiser Trajan"












Sonntag, 12. Juni 2022

Die Welt im (asymetrischen) Krieg

Die neue Ausgabe des internationalen Jahrbuchs von SIPRI weist weltweit 46 Konflikte für 2021 auf. Der neue zwischenstaatliche Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist noch nicht dabei. Die meisten Konflikte werden auf niedrigem Niveau geführt. Myanmar und der Jemen gehören zu den größeren Konflikten. Afghanistan ist im Sommer 2021 herausgefallen. Markant: In Mittelamerika kämpfen die Staaten immer öfter gegen militärisch organisierte Banden der Drogenszene. Der ganze Bericht:

https://sipri.org/sites/default/files/2022-06/yb22_summary_en_v2.pdf

Historisch: "Der letzte amerikanische Soldat verlässt Afghanistan. General Chris Donahue auf dem Weg zu einem Militärflugzeug in Kabul." Quelle (Bild): NZZ Online

Dienstag, 23. Februar 2021

Aspern-Essling: Besuch auf dem Schlachtfeld bei Wien - Napoleons erste Niederlage

 

        


Aspern liegt jenseits der Donau bei Wien. Der Ort ist heute Stadtentwicklungsgebiet und Teil der Hauptstadt. Man erreicht den Ort leicht mit der U-Bahnlinie Nr. 2 vom Karlsplatz aus. An der Aspernstraße steigt der Besucher, nachdem er den Prater und die Messe hinter sich gelassen hat, aus und benötigt anschließend 15 Minuten Fußweg links von der U-Bahnstation bis zum ehemaligen „Schlachtfeld“. Zielpunkt ist der „Löwe von Aspern“. Kein Schild, kein Hinweis erinnert an der U-Bahn an den Ort dieser großen Schlacht…

Vorgeschichte

Bevor es mit der Beschreibung der Gegebenheiten vor Ort weitergeht, ein Blick in die Geschichte. 1807, nach dem Frieden von Tilsit, befand sich Napoleon im Zenit seiner Macht. Preußen geschlagen, Russland hinter seine Grenzen zurückgeworfen, das Reichsgebiet im Rheinbund ein Vasall Frankreichs. Verwandte Napoleons regierten in Europa. Darunter illustre Figuren wie Jérome Bonaparte im Königreich Westfalen. Und Österreich? Leckte seine Wunden aus den vergangenen Auseinandersetzungen und hatte die Zeit für militärische Reformen genutzt. Doch die Landwehr war nur notdürftig bewaffnet und die Staatskasse leer.

Blieben die Engländer. Hinter dem Kanal, von der Flotte geschützt, leisteten sie dem Korsen in Paris weiter hartnäckigen Widerstand. In Portugal wurde die Kontinentalsperre durch England ausgehebelt. Britische Waren landeten ungestört an und das war Napoleon ein permanenter Dorn im Auge. Spanien war der Schlüssel. Für eine Seeoperation war die französische Flotte seit Trafalgar nicht stark genug. Blieb nur der Weg über Spanien. Das war der Ausgangspunkt für den Krieg von 1809, der Napoleons Abstieg einleitete. 1807 hatte sich Frankreich Durchmarschrechte in Spanien gesichert. Die zerstrittenen Bourbonen Karl und Ferdinand, Vater und Sohn, wurden von Napoleon zur Abdankung gezwungen. An ihre Stelle trat in Madrid Joseph, der Bruder Napoleons.

Napoleon hatte die Rechnung ohne die katholische Bevölkerung Spaniens gemacht. Die erhob sich in einem grausamen Guerillakrieg und band fortan starke französische Kräfte in Spanien. Die Lage verschärfte sich, als General Arthur Wellesley (Lord Wellington), der spätere Sieger von Waterloo, in Portugal landete. Hier musste nun Napoleon selbst eingreifen…

Übrigens: Cary Grant hat mit Sophia Loren und Frank Sinatra diesen Ereignissen in „Stolz und Leidenschaft“ ein unvergessliches filmisches Denkmal gesetzt.

Doch was das alles mit der Schlacht von Aspern zu tun? Nun, in Österreich und Preußen beobachtete man das Desaster in Spanien mit großem Interesse. Die Franzosen waren in Spanien gebunden. Die Chance zum Volksaufstand war gegeben. Während in Preußen die Pläne zur Erhebung aufgedeckt wurden und den Freiherr von Stein um Amt und Würden brachten, setzte in Österreich Graf Stadion die Pläne zur Offensive um. Ein Appell des österreichischen Erzherzogs Karl zur Erhebung der Deutschen verhallte bis auf wenige Einzelaktionen in Norddeutschland ergebnislos. Der preußische Offizier Ferdinand von Schill etwa stand von Anfang an auf verlorenem Posten.

Am Ende ging Österreich deshalb, nur auf die Briten gestützt, in Bayern allein zum Angriff über. Der 5. Koalitionskrieg hatte begonnen.

Der Kriegsverlauf bis Aspern

Mit dem Wissen, dass Frankreichs Armee in Spanien gebunden war, nahm der Kommandeur der Österreicher, Erzherzog Karl, den Kampf auf. Von Böhmen aus wollte er die in Süddeutschland verstreuten Korps der Franzosen einzeln angehen und schlagen. Gleichzeitig sollte Erzherzog Johann in Italien vorrücken. Beides misslang. Johann wurde bis Ungarn zurückgetrieben und Karl von Napoleon, der wieder auf Schnelligkeit setzte, in einer Reihe von Kämpfen im Raum Regensburg geschlagen. Ein von Andreas Hofer geführter Aufstand in Tirol verlief, anders als Revolten in Norddeutschland, mit österreichischer Unterstützung zunächst erfolgreich. Mit einem Vorstoß Richtung Warschau sollte Erzherzog Ferdinand schließlich die mit Frankreich verbündeten Polen neutralisieren.

Napoleons Tempo vereitelte wieder einmal alle Pläne seiner Gegner. Er entriss Österreich, das ja alleine kämpfte, die Initiative. Karl bliebt keine andere Möglichkeit als sich Richtung Wien zurückzuziehen. Zu halbherzig waren die militärischen Reformen, zu langsam die Befehlsketten gewesen, um den Franzosen und ihrem Oberbefehlshaber wirklich die Stirn zu bieten.

Die Entscheidung aber fiel weder in Nord- noch Süddeutschland. Erzherzog Karl hatte seine Truppen bei Wien konzentriert und beorderte auch die anderen Truppenteile dorthin zurück. Ihm dicht auf den Fersen folgte Napoleon am Südufer der Donau. Die Österreichischen Kommandeure Hiller und Erzherzog Karl verzichteten auf die Verteidigung Wiens. Sie sammelten ihre Armeen vielmehr auf dem Marchfeld östlich der Donau. Diese Region war eine Ansammlung kleiner Dörfer, zu denen auch Aspern und Essling gehörten. Das Gelände war flach und ging erst weiter nordwestlich in hügeliges Terrain über. Das ist auch heute noch gut zu sehen. Hier nun sammelte Karl seine Armee. Mit Hillers Truppen und den Einheiten der Wiener Garnison konnte er immerhin rund 95000 Mann und 260 Kanonen zusammenbringen. Zerstörte Donaubrücken verhinderten eine rasche Verfolgung durch Napoleon.

Die Schlacht

Die Schlacht von Aspern-Essling wurde über zwei Tage, vom 21. Bis 22. Mai 1809, ausgetragen. Napoleon stand von Anfang an vor dem Problem, die Donau auf Pontonbrücken überqueren zu müssen. Das wog umso schwerer, als dass der Fluss Hochwasser führte. Lediglich das Gebiet der Donauinsel Lobau bot mit einigen Sandbänken die Möglichkeit zum Brückenschlag. Karl dachte gar nicht daran, die Franzosen auf der Wiener Donauseite anzugreifen. Er ließ die Franzosen stattdessen, ähnlich wie General Lee die Nordstaatler rund 60 Jahre später bei Fredericksburg, über die Pontons das andere Ufer erreichen, um dann die in begrenzter Zahl übergesetzten Truppenteile anzugreifen. Mit dem Rücken zum Fluss waren die Franzosen zudem taktisch klar im Nachteil. Soweit der Plan.

Tatsächlich stellten die Franzosen die Brücken bis 20. Mai fertig. Die Österreicher störten den Bau, indem Sie Baumstämme flussabwärts schickten. Nichtsdestotrotz setzte Napoleon bis 21. Mai 23 000 Mann über. Diese besetzten Aspern und Essling und postierten Kavallerie dazwischen.

Die zahlenmäßig überlegenen Österreicher sahen ihre Chance und griffen um 10:00 Uhr diese Truppenkörper frontal an. Wieder einmal machte die schlechte zeitliche Abstimmung des Angriffs den Österreichern einen Strich durch die Rechnung. Nur einen Teil von Aspern konnten sie einnehmen. Ansonsten hielten Massena in Aspern und Marshall Lannes in Essling die Stellung. Napoleon brachte bis zum Morgen des 22. Mai zudem weitere Verstärkungen heran. Diese eroberten auch die bescheidenen Geländegewinne der Österreicher in Aspern zurück. Damit nicht genug. Napoleon wollte nun seinerseits die Österreicher vernichtend schlagen. Es war Napoleons Freund, Marshall Lannes, der die Führung übernahm. Und bei diesem Angriff schwer verwundet wurde. Erzherzog Karl sammelte in dieser Schlussphase der Schlacht seine Truppen und wehrte den Angriff des Gegners unter beiderseitigen schweren Verlusten ab. Er verzichtete auf die Verfolgung des Gegners, der sich geordnet auf die Insel Lobau zurückzog.

Die Kämpfe hatten auf beiden Seiten Zehntausende Opfer mit sich gebracht. Es war der traumatisierte, tödlich verwundete, Marshall Lannes, der seinem Freund Napoleon ins Gesicht sagte, dass er diesem Krieg ein Ende machen solle.

Dieses Ende kam Wochen später im Juli. Bei Wagram, ebenfalls in der Umgebung von Wien, konnte Napoleon den Krieg von 1809 für sich entscheiden.

Um weitere Kriege mit Österreich zu verhindern, heiratete Napoleon die Tochter von Kaiser Franz, Marie Louise. Rund 15 Jahre nach dem Tod von Marie Antoinette auf dem Schafott, übernahm wieder eine Österreicherin Verantwortung für die royale Nachfolge in Paris…

Schlachtfeldarchäologie und Erinnerungskultur

Aspern gehört heute zur Stadt Wien. Bereits 1904 wurde das Dorf in die Stadt eingegliedert. Als erstes wurde auf dem alten Schlachtfeld ein Flugplatz gerichtet. Der Flugplatz war von 1912 bis 1977 in Betrieb. Später errichtete General Motors ein Werk, darüber hinaus entstand in der Region ein Wohnprojekt. Bei diesen Bauarbeiten wurden neben Funden aus der Bronzezeit auch immer wieder Massengräber aus der Schlacht von Aspern entdeckt. Eine systematische Untersuchung jedoch fand nie statt. Heute werden alle Baumaßnahmen der Stadt Wien von qualifizierten Archäologen überwacht. Ungefähr seit 2005 werden alle Skelette einer wissenschaftlichen Untersuchung übergeben.

Viele Gefallene der Schlacht wurden an Ort und Stelle begraben. Die Toten wurden hastig und in Unordnung beerdigt. In den Gräbern fanden sich kaum Gegenstände oder Uniformen. Das deutet darauf hin, dass die Leichen ausgeraubt wurden. Lediglich Uniformknöpfe ließen sich zuordnen. Massenhaft gefunden wurden nur Kugeln aus Blei oder Eisen. Aus den Knochenfunden geht hervor, dass viele Soldaten bereits zum Zeitpunkt ihres Todes an Krankheiten litten. Die Zahngesundheit war schlecht. Viele Soldaten waren zudem schlecht ernährt. Alle Skelette zeigten Zeichen großer körperlicher Anstrengung. Besonders die langen Märsche hinterließen ihre Spuren an Füßen und Gelenken.

Eine Begehung des Schlachtfeldes ist heute nicht mehr möglich. Gewerbegebiete, Häuser, Straßen und Parkplätze haben den Ort der Schlacht bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Nur ein kleiner Flecken in Aspern erinnert noch an den Kampf. Das ist der Löwe von Aspern (Bild, eigene Aufnahme). Das Denkmal befindet sich vor einer Kirche um die sich verschiedene Gedenksteine und ein Museum gruppieren.



Weitere Bauarbeiten in dieser Gegend werden über kurz oder lang die Erinnerung an diese Schlacht überlagern. Nur der Löwe und die Toten werden dann stumme Zeugen dieses Gemetzels sein.

Autor:

Stefan Slaby verkürzte Version eines Fachbeitrages aus 10/2020

Mittwoch, 8. April 2020

Siebenjähriger Krieg: Schlacht bei Vellinghausen – Führung schlägt Stärke


Prolog

Allein die Zahlen klingen Atem beraubend: 140.000 Franzosen unter den Kommandeuren Soubise und Broglie treffen auf 70.000 Mann der Verbündeten Preußens unter Ferdinand von Braunschweig, einem der genialsten Militärs seiner Zeit. Der Ausgang bei solchen Kräfteverhältnissen müsste eigentlich klar sein. Wäre es nicht geradezu eine Kunst für die Franzosen, eine solche Schlacht zu verlieren? Man wird sehen…

Doch vorher wollen wir uns den Kampf im Herzen Westfalens selbst anschauen. Das geschieht in vier Schritten: Historische und geografische Einordnung, Beschreibung der Armeen, Erläuterung des Schlachtverlaufs und der Folgen. Ich habe für meine Darstellung weit zurückgreifen müssen. Eine regionalgeschichtliche Arbeit des Lehrers Heinrich Dreckhoff aus dem Jahre 1907 und eine landschaftsgeografisch angelegte Arbeit von Friedrich Menneking aus dem Jahre 1988 dienten als Basis für diese Darstellung. Ergänzt habe ich die schriftlichen Quellen durch eine Begehung vor Ort, um mir einen Eindruck von den geografischen Dimensionen zu machen.

                                           
                                            Denkmal am Straßenrand

Geografie und Geschichte

Die am 15. und 16. Juli 1761 geschlagene Schlacht bei Vellinghausen war Teil des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) in Westdeutschland. Sie fällt also in die Endphase dieses weltweiten Konfliktes zwischen England und Preußen auf der einen Seite sowie Frankreich, Österreich, Russland, dem Reich und Schweden auf der anderen Seite. In Vellinghausen standen sich Franzosen und Engländer sowie deutsche Kontingente gegenüber. Hinzu kamen einige nach Westen abkommandierte preußische Einheiten, Husaren, die an bewaffneten Aufklärungsaktionen beteiligt waren. Hier im Westen hielt Herzog Ferdinand von Braunschweig Friedrich dem Großen den Rücken frei. Immer wieder parierte dieser geniale Kommandeur Angriffe großer französischer Armeen zwischen Bremen und Frankfurt/Main. So bei Krefeld (1758), Minden (1759) und Warburg (1760). Letztere schaffte es sogar in Stanley Kubricks „Barry Lyndon“ zu filmischem Ruhm. Vellinghausen ordnet sich hier also lückenlos ein.


                                Der Ort Vellinghausen: Historische Gebäude

Das Schlachtfeld von Vellinghausen liegt zwischen Hamm und Lippstadt. Nördlich wird das Gebiet von der Lippe abgegrenzt, südlich schlängelt sich die Ruhr über Schwerte bis Wickede. Strategisch wichtig waren in der Region die befestigten Plätze in Hamm, Soest und weiter nördlich Münster, das mehrfach belagert und erobert wurde. Erwähnenswert sind auch die Basen der Armeen in Unna, das ebenfalls in der Nähe zum Schauplatz liegt und Werl am Rande des Operationsgebietes. Anders als der Kriegsschauplatz in Hessen ist das Gebiet relativ flach, von Äckern, Dörfern, Höfen, Hecken und Wäldern geprägt. Einige sanfte Höhenzüge, hier ist der Dinkerberg zu erwähnen, bieten Schutz und die Möglichkeit zur exponierten Aufstellung von Artillerie und Truppen. Von West nach Ost zog sich als wichtiger Verkehrsweg der Hellweg durch die Landschaft. Heute folgt man der A2, der A44 oder der B1 von Westen kommend, um in die Gegend zu gelangen. 1761 nahmen sich die Verkehrswege unbefestigt mangelhaft aus. Bei starkem Regen verwandelten sich diese „Straßen“ regelmäßig in einen Morast. Für Geschütze und Gespanne des Nachschubtrosses eine echte Herausforderung. Dagegen boten einige Gehöfte der Region der Infanterie gute Verteidigungsmöglichkeiten. Das also waren die Bedingungen, unter denen die Riesenheere bei Hamm 1761 aufeinandertrafen.


                                Das Schlachtfeld aus der französischen Sicht
                                

1761 – Peripetie des Krieges?

Erschöpfung – so lässt sich der Zustand der Kriegsparteien im 5. Kriegsjahr beschreiben. Die Preußen waren zu offensiven Aktionen nicht mehr imstande und bezogen im Sommer das befestigte Lager bei Bunzelwitz. Kolberg fiel ebenso wie Schweidnitz. In den Amerikas hatten die Franzosen die Initiative bereits an die Engländer verloren. Montreal und Dominica waren an die Briten gefallen. In dieser Situation hatte der Herzog von Choiseul, Staatssekretär für äußere Angelegenheiten, den eigenen Kommandeuren enge Ziele gesetzt. Diese sollten 1761 günstige Bedingungen für einen Waffenstillstand erkämpfen. Das hatten Engländer, Hannoveraner und Braunschweiger auf der anderen Seite zu verhindern.

Gegen diesen Trend zur Ermüdung war in Westdeutschland Ferdinand von Braunschweig zur Offensive angetreten. Sein Bruder, der Erbprinz, sollte den Franzosen Hessen wegnehmen. Westfalen dagegen wurde gesichert. Hierzu ließ man Rüthen und Lippstadt befestigen. Den Einwohnern war es gleichgültig, denn für sie bedeuteten die Maßnahmen, egal von wem sie angeordnet wurden, Belastungen und Arbeit. Schanz- und Transportarbeiten genauer gesagt, die noch dazu von französischen Streifkorps in Scharmützeln gestört wurden.

Zur Offensive in Hessen traten im Frühjahr neben den Truppen des Erbprinzen auch Einheiten aus Göttingen an. Die standen unter dem Kommando General Spörckens. Erstes Ziel war Kassel. Eine Belagerung sollte die Franzosen vertreiben. Bereits das misslang Ende März 1761. Und so zogen sich Herzog Ferdinand ins Paderborner Land und der Erbprinz ins Münsterland zurück. Nur Spörken verblieb in der Nähe von Kassel in Warburg.

Fehlten nur noch die Franzosen. Unter dem Kommando des Prinzen von Soubise zogen die ihre Kräfte bei Düsseldorf, Wesel und Rees zusammen. Damit rückte Westfalen als Schauplatz einer größeren Auseinandersetzung in den Fokus.

Hessische Husaren, die bis Soest, Werl und Dortmund vorstießen, übernahmen die Beobachtung der Franzosen. Unterdessen bereiteten sich Münster und Lippstadt auf die Verteidigung vor.

Der französische Plan sah nun seinerseits vor, in zwei Gruppen vorzustoßen. Eine Gruppe hatte vom Niederrhein die britischen Alliierten in Westfalen festzuhalten, die andere sollte von Hessen aus Hannover und Braunschweig erobern.

Aufmarsch und Aufstellung

Ende Juni brachen die Franzosen vom Niederrhein und von Hessen auf. Am 6. Juli vereinigten sich beide Armeen unter ihren Kommandeuren  Charles de Rohan, Prince de Soubise und Victor-François de Broglies  bei Soest. Eine für die währenddessen bis Hamm vorgestoßene Armee Ferdinands gefährliche Situation.

Die Massierung so großer Truppenmassen in der ärmlichen Region bedeutete für die Zivilbevölkerung enorme Lasten. Entnahmen von Brennholz, Hausrat, Zugtieren und Futtermitteln sowie Zwangsrekrutierungen, Verpflichtungen als Trossknechte, Beschlagnahme von Lebensmitteln – die ausgepumpte Region litt unsäglich, die vielbeschworene Ritterlichkeit der Kriegsführung blieb ein Phantasiegebilde des kämpfenden Adels. Einfache Bürger auf dem Land profitierten nicht wirklich von der „gezähmten Bellona“.

Für die Armeen tat das Wetter ein Übriges. Die Chroniken verzeichnen für den Frühsommer 1761 in Westfalen einen steten Wechsel von heftigen Niederschlägen, Gewittern, Hagelschlag und Hitze. Die dürftigen Wege wurden teils unpassierbar.

Zwischen Hamm und Soest trafen die feindlichen Armeen nun aufeinander. Diese setzten sich auf alliierter Seite aus Hannoveranern, Briten, Braunschweigern, Hessen und Preußen zusammen. Ihnen stand das Heer aus zahlenmäßig weit überlegenen Franzosen gegenüber. Dabei geschah die Aufstellung der Truppen in Umkehrung der eigentlichen geopolitischen Ausgangslage im Kriegstheater. Anders gesagt: Die Franzosen kamen aus Soest, d. h. aus dem Osten, die Engländer und ihre Verbündeten aus Hamm, also dem Westen. Ferdinand von Braunschweig achtete darauf, Hamm und die Lippeübergänge in seinem Rücken zu sichern. Von Hamm aus gesehen bildeten die Briten und Lord Granby den linken Flügel seiner Streitmacht, unterstützt von Truppen des hessischen Generals Wutgenau.

Dem Dorf Vellinghausen kam wegen der Landstraße zwischen Hamm und Lippstadt auf dem Gefechtsfeld Bedeutung zu. Die weitere Linie Ferdinands bildeten Einheiten des Prinzen von Anhalt sowie britische Korps unter Howard und Cornwall. Unter den Einwohnern erregten die prächtigen Bergschotten Aufsehen, die im Verlauf der Schlacht einen hohen Tribut zahlen sollten.

Ferdinand selbst bezog etwas rückwärtig im Haus Hohenover sein Hauptquartier.


 


Karte der Schlacht von Vellinghausen, von John Fawkes, britishbattles.com, abgerufen am 05.03.2019, 17:00 Uhr


Als Reserve auf der anderen Seite der Lippe hielt sich Spörcken bereit. Granby hatte auf dem sanften Dinkerberg Position bezogen, wo er später unter Druck geriet und durch 12- und 6-Pfünder Geschütze entscheidende Unterstützung erhielt. Das Schlachtfeld wurde durch die Ahse, einen Nebenarm der Lippe, geteilt. Das Flüsschen lag an der Nahtstelle der französischen Aufstellung. Von Soest aus die rechte Flanke der Franzosen zwischen Lippe und Ahse bildete die Armee Broglies, die linke, etwas zurückhängende Flanke, die Soubises.

Die Franzosen waren mit dieser Aufstellung von ihren Basen am Rhein abgeschnitten, die Schlacht damit unvermeidlich geworden. Die Truppen waren auf 70.000 Alliierte und 140.000 Franzosen angewachsen.


Die Schlacht

Die Tage vor der eigentlichen Schlacht waren von Vorpostengefechten, Geplänkel und bewaffneten Aufklärungen geprägt. Im Zuge dieser Aktionen wäre Broglie beinahe von preußischen Husaren gefangen genommen worden. Er konnte entkommen, allein sein Fernrohr und sein Hut fielen in die Hände des Feindes.

Am 15. Juli 1761 um 16:00 beginnt die Schlacht. Sie konzentriert sich auf zwei Punkte. Das Dorf Vellinghausen und Umgebung sowie den Ort Scheidingen.

An der ganzen Linie, die sich kilometerweit durch die Landschaft zog, wurde also nicht gekämpft. Schlachten des 18. Jahrhundert kannten weder das Prinzip des totalen noch des Vernichtungskrieges. Es galt, begrenzte taktische Ziele zu erreichen. Friedrich der Große bildete mit seinen oft sehr verlustreichen Kämpfen im Osten, etwa bei Kunersdorf, eine Ausnahme. Die Armeen waren den Befehlshabern viel zu wertvoll, um sie in einer Schlacht komplett aufs Spiel zu setzen.

Und so beginnt der Angriff mit einem taktischen Vorstoß Broglies bei Vellinghausen, in dessen Nähe eine wichtige Straße verläuft. Drei Kolonnen rücken vor. Der Angriff ist mit Soubise nicht abgestimmt. Die Koordinationsprobleme beider Befehlshaber bilden die Basis für die spätere Niederlage.

Nichtsdestotrotz: Granbys Vorposten im Dorf müssen weichen und auch auf dem Dinkerberg geraten die Briten unter Druck. Versuche der Alliierten, Terrain gutzumachen, scheitern zunächst. Angriff und Abwehr werden von der Artillerie beider Seiten massiv unterstützt. Anhöhen und bewaldetes Gelände vermindern jedoch die Wirkung. Sonst wären die Verluste wahrscheinlich erheblich größer ausgefallen. Ferdinands befohlener Gegenangriff auf Vellinghausen jedenfalls misslingt zunächst. Der hessische General Wutgenau und die britische Legion müssen zurück, nachdem die französischen Brigaden Du Roy und Dauphin eingreifen. Gegen 22:00 wird Vellinghausen von den Alliierten gänzlich aufgegeben. Die Kämpfe flauen ab. Die Nacht nutzen beide Seiten, um Verstärkungen heranzuführen.

Für die zurückgebliebenen Bewohner ist das Feuer ein Inferno. Eine Mutter und ihr Kind werden von einer Kanonenkugel getötet. Häuser, Bäume und Ställe werden von Geschossen regelrecht durchlöchert.

Mit dem Morgengrauen des 16. Juli beginnt nicht nur der Kampf um Vellinghausen erneut, auch im Abschnitt des Prinzen de Soubise wird nun gekämpft. Ab 6 Uhr greifen dessen Truppen vor dem Ort Scheidingen bei Welver an. Die Entscheidung fällt allerdings zunächst im Abschnitt Broglies. Um 9 Uhr platzieren die Franzosen Artillerie auf einer taktisch wichtigen Anhöhe, dem Parenberg. Ferdinand erkennt die Gefahr und befiehlt den Angriff.

Was nun geschieht, kann nur als Katastrophe für die Franzosen bezeichnet werden. Unter dem Druck des britisch-deutschen Angriffs brechen die französischen Linien komplett zusammen. Die Franzosen nehmen Reißaus, so schnell, dass nur noch Kavallerie sie einholen könnte. Das komplette Regiment Rougé wird gefangen genommen, der Befehlshaber selbst schwer verwundet. Er wird später seinen Verletzungen erliegen, wie weitere Kommandeure auch.

Broglie befiehlt nun den allgemeinen Rückzug, dem Soubise sich anschließt. Um 12:00 Uhr am 16. Juli sind alle Kampfhandlungen beendet.


                                Erinnerungskultur im Heimathaus Welver

Epilog

Die Verluste der Franzosen betragen rund 5000 Mann, 19 Kanonen und 9 Fahnen. Die Alliierten verlieren 1348 Mann und drei Kanonen, sie behaupten aber das Schlachtfeld, die Franzosen ziehen sich unter chaotischen Umständen nach Soest zurück. Beide Armeen verbleiben noch einige Zeit in der Region und strapazieren die Haushalte weiter. Die Bewohner sind nun nicht nur mit Toten und Verwundeten überfordert, auch die Plünderungen von Hausrat und Holz gehen unvermindert weiter. Felder sind zertrampelt, Häuser verwüstet.

Strategisch sind jetzt keine Bewegungen mehr möglich, das Jahr 1761 bringt keine weiteren großen Auseinandersetzungen. Broglie und Soubise haben sich endgültig überworfen. Es ist Napoleon, der über die beiden bei Vellinghausen ein vernichtendes Urteil fällt. Zögern, Zaudern und Uneinigkeit macht er als Ursachen für das französische Desaster aus.

Auf der anderen Seite steht Ferdinand, der Friedrich dem Großen nach dem Siebenjährigen Krieg bei einem Besuch auf dem Schlachtfeld die Ereignisse persönlich schildert. Der Sieg ist sein Verdienst, überlegene Führung und die Disziplin seiner Truppen haben die zahlenmäßige Überlegenheit der Franzosen klar neutralisiert.

Kurzversion eines Fachbeitrages aus dem Jahre 2019.

Montag, 11. Februar 2019

Princeton und die Rettung der Amerikanischen Revolution

 Prolog

Kurzversion eines Fachbeitrages erschienen 2018

Es stand nicht gut um die Amerikanische Revolution 6 Monate nach der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776. Die Kolonisten, unwillig die Steuern nach dem Siebenjährigen Krieg mitzutragen, hatten seit 1775 die britische Krone in Lexington, Concord und Bunker Hill bei Boston herausgefordert. Der Kampf in Nordamerika war gleichzeitig auch ein Bürgerkrieg. Denn den Kämpfern für die Unabhängigkeit standen die der Krone treu ergebenen Loyalisten gegenüber. Und selbst unter den Rebellen waren die Aushebungen für die neu geschaffene Amerikanische Armee und die Milizen keineswegs immer populär. Die Armee war schwach, wie auch George Washington im Sommer 1776 zerknirscht eingestehen musste.

In dieser problematischen Lage waren die Briten am 16. September 1776 in der Kips Bay von New York gelandet. Wo heute die Häuserschluchten von Manhattan beginnen, erlitten die Amerikaner eine empfindliche Niederlage. Die Milizen verließen fluchtartig ihre Stellungen in der Nähe des heutigen Murray Hill. Die Briten setzten ihnen nach und schlugen die jungen amerikanischen Streitkräfte weitere Male bei Harlem Hights und White Plains. Washington blieb nichts anderes übrig, als sich durch New Jersey nach Süden zurückzuziehen…


Karte des Feldzuges von 1776/1777, Quelle: Jeremy Black: Die Kriege des 18. Jahrhunderts, London 1999. S. 121

Die Kriegsparteien

Der Unabhängigkeitskrieg war kein Kampf zwischen Engländern und Amerikanern. Er war ein internationaler Konflikt. Die Kombattanten kamen aus dem In- und Ausland und trugen eine verwirrende Vielzahl von Uniformen und Ausrüstung. Eine einfache Aufzählung der am Krieg beteiligten Staaten und Gruppen mag dies verdeutlichen. Im Einzelnen waren auf dem nordamerikanischen Kriegsschauplatz aktiv:

· die britische Feldarmee (Regulars)
· die US amerikanische Feldarmee (Continentals)
· die US amerikanischen Milizen (Militias)
· die Loyalistenmilizen (Loyals)
· die hessischen Hilfstruppen auf Seiten der Briten (Hessians)
· die Indianer standen auf verschiedenen Seiten

Im weiteren Kriegsverlauf kamen Einheiten der französischen Feldarmee und europäische Freiwillige aus Deutschland, Preußen und Polen hinzu. Sie stellten sich sowohl der einen als auch der anderen Seite zur Verfügung. Doch die bekanntesten Helden des Unabhängigkeitskrieges, der Franzose Lafayette, der Pole Tadeusz Kościuszko und der Preuße Friedrich Wilhelm von Steuben, unterstützten die Armee George Washingtons. Steuben wurde zum bis heute hochangesehenen „Drillmeister“ der US Armee, dessen Ruhm bis West Point nachwirkt.

In Princeton standen sich in der Frühphase des Krieges Regulars auf britischer und Continentals sowie Milizen auf der anderen Seite gegenüber. In Trenton, südlich von Princeton, waren die Hessen involviert.

In der Auseinandersetzung konnten die Amerikaner Motivation und eine unkonventionelle Kampfweise in die Waagschale werfen. Die Briten profitierten von Erfahrung, Disziplin, Ausrüstung und Führung ihrer Truppen. Die US Milizen, das hatte sich bereits in Kips Bay gezeigt, waren in offener Feldschlacht die Schwachstelle der amerikanischen Bürgerarmee.

In der Frage, wie der Krieg geführt werden sollte, hatte sich der Grundbesitzer George Washington aus Virginia gegen den ehemaligen britischen Offizier Charles Lee durchgesetzt. Dazu hatten auch negative Erfahrungen mit den Milizen während der versuchen US Invasion in Kanada beigetragen. So verfolgten die Amerikaner nunmehr eine Doppelstrategie, in der Elemente des asymmetrischen Krieges mit Milizen durch Operationen mit regulären Truppen (Continentals) kombiniert wurden.

Das spiegelte sich auch in den Uniformen und der Ausrüstung wider. Die Milizen improvisierten bei Uniformen und Waffen, die Continentals entsprachen in Erscheinungsbild und Taktik regulären europäischen Armeen dieser Zeit.

Stärke und Charakteristika der Kriegsparteien

Die „Hessen“, die im Trenton-Princeton Feldzug eine signifikante Rolle spielten, stellten mit 16 000 Mann einen Großteil der britischen Invasionsarmee. Sie waren den Engländern für Geld zur Verfügung gestellt worden. Mit diesem Soldatenhandel versuchte man in der Heimat den eigenen Etat aufzubessern. Gegliedert waren sie in 15 Regimenter, vier Bataillone Grenadiere, drei Kompanien Feldjäger und zwei Jägerkompanien. Der Ruf der „Hessen“ war fürchterlich. Und blieb es bis in die heutige Zeit. Selbst Hollywood lässt als kopflosen mordenden Reiter in „Sleepy Hollow“ einen „Hessen“ auferstehen. Vieles davon ist Legende. In Trenton überrumpelte Washington die Soldaten aus Deutschland. Die hatten zu Weihnachten 1776 auf den Waffenstillstand vertraut. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit war jedenfalls dahin.

Die britischen Regulars waren nach der Belagerung Bostons auf rund 10 000 Mann verstärkt worden. Das Gros der Truppen sicherte New York. Befehligt wurden die Soldaten aus Wales, England oder Hannover von britischen Aristokraten, die weder von ihren Gegnern noch ihren eigenen Männern viel hielten. Protektion hatte viele Offiziere in ihre Position gebracht. Im Gegensatz zu den Preußen galten ihre Fähigkeiten als beschränkt. Aber immerhin standen 1776 zwei Drittel der Feldarmee in den nordamerikanischen Kolonien. Hinzu kam die Hälfte der britischen Royal Navy.

Am 27. August 1776 meldete der Oberkommandierende der Briten, General Henry Clinton, in New York rund 31 000 Soldaten aller Truppengattungen einsatzbereit.

Ihnen standen zur selben Zeit nach Schätzungen von Historikern 28 500 Amerikaner gegenüber, von denen rund 19 000 effektiv einsatzbereit waren. Der Rest war krank, beurlaubt oder sonstwie „abwesend“. Gegliedert waren sie in 71 Regimenter unterschiedlicher Stärke, von denen 25 Continentals waren. So stellte sich also die Ausgangssituation für den Trenton-Princeton-Feldzug dar.

Das Kriegsbild

Was erwartete die Soldaten im „Kriegstheater“ in den Feldzügen Nordamerikas? Das Kriegsbild ähnelte durchaus europäischen Verhältnissen. Lediglich ein Festungskrieg mit Belagerungen gab es in Nordamerika nicht. Ansonsten fanden sich die Elemente des Kleinen Krieges, d. h. Hinterhalte und Gefechte um Nachschublinien und Magazine. Leichte Reiterei war hier der Hauptakteur. Die offene Feldschlacht wurde oft von den Briten gesucht, wenn auch zahlenmäßig in erheblich kleineren Maßstäben als z. B. bei vergleichbaren Schlachten wie Kunersdorf (1759) oder Leuthen (1757).

Das minderte nicht den Schrecken der so genannten Lineartaktik: In langen Linien marschierten die Truppen, die Musketen geschultert, in starren Formationen aufeinander zu. Auf Befehl wurde geladen, angeschlagen und gefeuert. Während ein Glied feuerte, luden andere nach. Das alles geschah in unmittelbarer Nähe des Feindes, ohne Deckung und mit dem Wissen um eine völlig mangelhafte medizinische Versorgung. Trommlern und Pfeifern fiel übrigens die Aufgabe zu, die Angst der „British Grenadiers“ und ihrer Kameraden bei allen Kriegsparteien zu mindern. Ihre Märsche hallten während des Anmarsches über das Schlachtfeld.

Ziel dieser archaischen Taktik war es, die „Linie“ des Gegners aufzubrechen. „Haltet die Linie“ (Hold the Line!) war deswegen die Gegenparole. Das Aufbrechen der Linie geschah neben den rollenden Salven der Musketen durch Artillerie und geschlossene Reiterattacken. Kanonenkugeln, Kartätschen, die wie Schrotschüsse aus Kanonen wirkten, und Granaten, die nach Abbrennen einer Zündschnur explodierten, wirkten in den geschlossenen Formationen verheerend. In der Schlussphase erfolgte der Sturmangriff und Nahkampf mit Seitengewehr und Säbel – ein Inferno ohnegleichen!

Der Pulverdampf führte bereits nach Minuten dazu, dass die Soldaten kaum noch etwas sahen. Deckung nehmen oder gar die Flucht ergreifen, war unmöglich. Hinter den Linien sorgten Unteroffiziere dafür, dass niemand zurückblieb oder seinem Fluchtinstinkt nachgab. Es war darüber hinaus der Drill, der die Truppen beider Seiten dazu brachte, alle Bewegungen und Handgriffe wie im Schlaf auszuführen.

Auf Desertion standen schärfste Strafen, auch bei den Amerikanern. Die waren wegen „der Sache“ trotzdem motivierter und hielten bald dem kollektiven „russischen Roulette“ genauso gut stand wie die Briten. Waren die Linien erst einmal durcheinander, gab es meist kein Halten mehr. Hier schlug die Stunde der Kavalleriekommandeure, wie Banastre Tarleton, der für die hartnäckige und rücksichtslose Verfolgung flüchtender Amerikaner bekannt war.

Neben einer verlorenen Schlacht, so bekannte der Duke of Wellington einmal sinngemäß, war eine gewonnene Schlacht das schlimmste, was es gab. Und das traf es ziemlich genau. Um die Verwundeten „kümmerten“ sich die Feldscher, „Ärzte“ wäre eine schmeichelhafte Bezeichnung. Amputationen waren oft die einzige „Therapie“. Alkohol diente der Betäubung. Steriles Operationsbesteck war unbekannt. Viele Verletzte starben an Wundbrand. Die Lazarette waren oft Warteräume für die Sterbenden. Die Medizin dieser Zeit war auf den Massenanfall von Verletzten, der selbst heute jedes Krankenhaus überfordern würde, nicht ansatzweise vorbereitet.

Die Soldaten wussten das alles. Und so berichten Augenzeugen von Kolin bis Valmy immer wieder über eine Totenblässe, die Soldaten und Offizieren vor der Schlacht im Gesicht stand. Hätte es zwischen den Schlachten nicht lange Ruhephasen gegeben, wer weiß, wie viele den seelischen Belastungen gewachsen gewesen wären. Allein: Posttraumatische Stresserscheinungen standen nicht auf dem Versorgungsplan der Armeen dieser Zeit. Die Feldprediger vermittelten den wohl unerlässlichen Glauben, um das Inferno des Krieges damals auszuhalten.

Das waren die Voraussetzungen, unter den die Briten angetreten waren, die Rebellion in den Kolonien von New York aus niederzuwerfen. Seit dem Scheitern ihrer Invasion in Kanada hatten die Amerikaner dem, außer hinhaltendem Widerstand, kein erfolgreiches Konzept entgegenzusetzen.

Der Anmarsch. Quelle: David Hackett, Washingtons Crossing, 2004, S. 328 Princeton Bibliothek

Der Weg nach Princeton

Wir hatten George Washington nach der Schlacht von White Plains am 28. Oktober 1776 verlassen. Die Amerikaner setzten sich von hier aus über Peekskill am Hudson und Fort Lee nach Süden ab. Über Newark und New Brunswick führte Washington seine demoralisierte Truppe durch New Jersey. Ihm dicht auf den Fersen war der britische Offizier Charles Cornwallis, der den Amerikanern auf gleicher Route folgte.

Cornwallis vollzog einen Auftrag aus London. Der sah vor, die britische Herrschaft in New Jersey zu restaurieren. Washington hatte diese Pläne zu durchkreuzen. Doch danach sah es zunächst nicht aus. Vorerst zeigte Washington aber, dass er Rückzüge organisieren konnte. So trafen die Briten auf wenig Widerstand.

Am 29.11.1776 erreichten die Amerikaner New Brunswick. Die Armee schmolz wegen auslaufender Verpflichtungszeiten auf nur 3 000 Mann zusammen. Washington brauchte einen Erfolg, um die Moral zu heben. Er ließ 1 400 Mann in Princeton zurück, die den britischen Vormarsch verzögern sollten. Die Hauptarmee marschierte weiter nach Süden zum Delaware. Erst nachdem seine Nachhut Princeton verlassen hatte, besetzten die Briten die kleine Stadt, um dort Befestigungen und Nachschublager anzulegen.

Für Washington kam die Gelegenheit zum Überraschungsangriff an Weihnachten 1776. Die Hessen in Trenton hatten auf den Weihnachtsfrieden gesetzt, doch die Rechnung ohne die Amerikaner gemacht. Die überquerten den Delaware auf Fährbooten und überrumpelten die Garnison. „Washingtons Crossing“, jenes legendäre Gemälde des ersten US Präsidenten, markiert dieses historische Ereignis. Bei nasskaltem stürmischem Winterwetter und wohl noch verkatert von der Weihnachtsfeier reagierten die Hessen unter ihrem Kommandanten Johann Gottlieb Rall schwerfällig. 918 Gefallene, Verwundete und Gefangene waren der Preis für diese Unachtsamkeit.

Washington aber hatte seinen Überraschungserfolg – bei geringen eigenen Verlusten. Problematischerweise lief die Dienstzeit weiterer Soldaten nun aus. Doch mit einer bewegenden Rede und 10 Dollar Belohnung gelangt es Washington, die Kontinentalarmee zusammenzuhalten.

Ruhe blieb den Amerikanern trotzdem nicht. Denn jetzt rückten die Briten unter Cornwallis heran. Washington entschloss sich, den Angriff der Briten erneut in Trenton zu parieren. Am Assunpink Creek, oder in der 2. Schlacht von Trenton, konnten sich die Amerikaner ein weiteres Mal behaupten. Sie hatten aus sicheren Deckungen heraus auf die Briten gefeuert und dann nach einer Täuschung den Rückzug angetreten. Diesmal fielen 100 Amerikaner sowie rund 360 Briten und Hessen.


                                            Hinweis auf das Schlachtfeld (alle Bilder S. Slaby)

Princeton, 3. Januar 1777

Der 3. Januar in Princeton begann mit einem klaren, frostigen Morgen. Eis und Schnee hatten die Landschaft in ein glitzerndes Weiß verwandelt. Die Amerikaner näherten sich dem Schlachtfeld von Süden. Washington hatte seine Truppen in zwei Flügel geteilt. Den kleineren linken Flügel kommandierte Nathanael Greene. Mit ihm marschierte die New Jersey Artillerie, die Continentals aus Virginia unter Hugh Mercer, der markantesten Figur des kommenden Gefechts sowie Einheiten aus Pennsylvania. Die Streitmacht brachte alles in allem rund 1500 Mann zusammen. Der andere Flügel wurde von General John Sullivan geführt, rund 5000 Mann, darunter die New York Artillerie mit Einheiten aus Pennsylvania und den Neuengland Staaten. Dieser Flügel sollte den Hauptangriff führen.

Damit setzte Washington eine bewährte Taktik fort. Eine kleine Einheit führte den Ablenkungsangriff, der Hauptangriff erfolgte unerwartet.

Es war Sullivans Aufklärung, die das Aufblitzen der Waffen britischer Truppen zuerst bemerkte. Tatsächlich bewegten sich "Rotröcke" auf der Hauptstraße von Princeton nach Trenton. Bevor die Amerikaner reagieren konnten, wurden sie ihrerseits von britischen Spähtrupps entdeckt. Bei den Truppen handelte es sich um Briten des in Princeton zurückgelassenen Detachements von Oberst Charles Mawhood. Mawhood befehligte das 17., 40. und 55. Infanterieregiment. Er hatte den Auftrag Princeton zu verteidigen, doch am 2. Januar die Order erhalten, nach Trenton zu marschieren.

Gegen 5 Uhr morgens am 3. Januar setzte er sich mit seinen müden und noch hungrigen Soldaten in Bewegung. Der Train und die Artillerie verzögerten die Aufstellung der Kolonne. Mawhood hatte bereits das Flüsschen Stoney Brook überquert, als er die nordwärts marschierenden Amerikaner entdeckte.

Sollte er nach Princeton zurückkehren oder angreifen? Er tat, was ein britischer Offizier tun musste. Angreifen. Das 55. und die Artillerie bezogen Position auf einem Hügel, der heute unter dem Namen Mercer Hill bekannt ist. Die Nachschubwagen schickte er sicherheitshalber nach Princeton zurück.

Das alles vollzog sich mit der Disziplin und Geschwindigkeit, die man von britischen Regulars gewohnt war. Sowohl Greene als auch Mawhood waren sich dennoch nicht bewusst, dass sie aufeinander zumarschierten. Nur der sich aus der Entfernung mit seinem Stab nähernde George Washington erfasste die Situation und ließ Greene über einen Kurier warnen. Auf der anderen Seite bemerkten über einen Aufklärungsreiter auch die Briten die sich stetig nähernden Truppenkörper. Mawhoods 17. Fußregiment und 50 abgesessene Dragoner, alles in allem 450 Mann, marschierten nun gegen 1500 Amerikaner.


                                            Ein Blick auf den Kampfplatz, September 2017


Im Obstgarten des noch heute erhaltenen William Clark Hauses trafen die Gegner in einem klassischen Liniengefecht aufeinander. Die Amerikaner feuerten gezielt auf die britischen Offiziere. Das Kalkül dahinter war klar: Die Briten sollten, einmal führerlos geworden, die Flucht antreten. In der weißen Winterlandschaft tauschten die beiden Linien Salve um Salve aus. Fassungslos beschrieben Augenzeugen, wie sich Schnee und Eis blutrot einfärbten.

Mawhood hatte nur noch eine Chance: Er befahl seiner Infantrie den Bajonettangriff und das brachte die Amerikaner ins Wanken. Hugh Mercer, der kommandierende US Offizier im Feld, verlor zuerst sein Pferd und geriet dann in Gefangenschaft. Er weigerte sich, zu kapitulieren und wurde durch mehrere Bajonettstiche schwer verwundete. Tage später sollte er seinen Verletzungen erliegen. Diese Szene wurde im wohl berühmtesten Gemälde des Unabhängigkeitskrieges verewigt: "The Death of General Hugh Mercer". Der Schauplatz dieses Ereignisses, "Mercers Oak", ist im Zentrum des Schlachtfeldes noch heute zu besichtigen.


                                            Das Clark Haus diente als Lazarett


Mercer blieb nicht als Einziger auf dem Schlachtfeld. Auch Offiziere, die seinen Platz einzunehmen versuchten, wurden getötet. Die flüchtenden Amerikaner brachten zudem die Linien der nachrückenden Verstärkungen durcheinander.

Es war die US Artillerie, die in dieser kritischen Situation die Lage stabilisierte. Eine Batterie aus Neuengland feuerte Salven von Kartätschen auf die Briten und ermöglichte den Continentals und Milizen sich wieder zu formieren. Washington ordnete die Verstärkungen und ließ die Briten zudem mit unablässigen Salvenfeuer bekämpfen. Unter diesem doppelten Druck brachen die britischen Linien zusammen. Mawhood befahl den Rückzug Richtung Princeton. Einige Rückzugsgefechte konnten die Lage nicht mehr zugunsten der Briten wenden.


                                                      Das Denkmal im Ort Princeton
                                                        
Epilog

Nach dem Sieg von Princeton marschierten die Amerikaner ins Winterlager von Morristown. Der Feldzug hatte die Amerikanische Revolution – vorerst – gerettet. Erst vier Jahre später, 1781 in Yorktown, wurde dieses Ergebnis besiegelt. Daran hatten die Franzosen maßgeblichen Anteil. Die waren mit Flotte und Verstärkungen auf dem amerikanischen Kriegsschauplatz eingetroffen. Die Kosten sollten später die Schuldenkrise in Frankreich und damit die Französische Revolution befördern.