Mittwoch, 8. April 2020

Siebenjähriger Krieg: Schlacht bei Vellinghausen – Führung schlägt Stärke


Prolog

Allein die Zahlen klingen Atem beraubend: 140.000 Franzosen unter den Kommandeuren Soubise und Broglie treffen auf 70.000 Mann der Verbündeten Preußens unter Ferdinand von Braunschweig, einem der genialsten Militärs seiner Zeit. Der Ausgang bei solchen Kräfteverhältnissen müsste eigentlich klar sein. Wäre es nicht geradezu eine Kunst für die Franzosen, eine solche Schlacht zu verlieren? Man wird sehen…

Doch vorher wollen wir uns den Kampf im Herzen Westfalens selbst anschauen. Das geschieht in vier Schritten: Historische und geografische Einordnung, Beschreibung der Armeen, Erläuterung des Schlachtverlaufs und der Folgen. Ich habe für meine Darstellung weit zurückgreifen müssen. Eine regionalgeschichtliche Arbeit des Lehrers Heinrich Dreckhoff aus dem Jahre 1907 und eine landschaftsgeografisch angelegte Arbeit von Friedrich Menneking aus dem Jahre 1988 dienten als Basis für diese Darstellung. Ergänzt habe ich die schriftlichen Quellen durch eine Begehung vor Ort, um mir einen Eindruck von den geografischen Dimensionen zu machen.

                                           
                                            Denkmal am Straßenrand

Geografie und Geschichte

Die am 15. und 16. Juli 1761 geschlagene Schlacht bei Vellinghausen war Teil des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) in Westdeutschland. Sie fällt also in die Endphase dieses weltweiten Konfliktes zwischen England und Preußen auf der einen Seite sowie Frankreich, Österreich, Russland, dem Reich und Schweden auf der anderen Seite. In Vellinghausen standen sich Franzosen und Engländer sowie deutsche Kontingente gegenüber. Hinzu kamen einige nach Westen abkommandierte preußische Einheiten, Husaren, die an bewaffneten Aufklärungsaktionen beteiligt waren. Hier im Westen hielt Herzog Ferdinand von Braunschweig Friedrich dem Großen den Rücken frei. Immer wieder parierte dieser geniale Kommandeur Angriffe großer französischer Armeen zwischen Bremen und Frankfurt/Main. So bei Krefeld (1758), Minden (1759) und Warburg (1760). Letztere schaffte es sogar in Stanley Kubricks „Barry Lyndon“ zu filmischem Ruhm. Vellinghausen ordnet sich hier also lückenlos ein.


                                Der Ort Vellinghausen: Historische Gebäude

Das Schlachtfeld von Vellinghausen liegt zwischen Hamm und Lippstadt. Nördlich wird das Gebiet von der Lippe abgegrenzt, südlich schlängelt sich die Ruhr über Schwerte bis Wickede. Strategisch wichtig waren in der Region die befestigten Plätze in Hamm, Soest und weiter nördlich Münster, das mehrfach belagert und erobert wurde. Erwähnenswert sind auch die Basen der Armeen in Unna, das ebenfalls in der Nähe zum Schauplatz liegt und Werl am Rande des Operationsgebietes. Anders als der Kriegsschauplatz in Hessen ist das Gebiet relativ flach, von Äckern, Dörfern, Höfen, Hecken und Wäldern geprägt. Einige sanfte Höhenzüge, hier ist der Dinkerberg zu erwähnen, bieten Schutz und die Möglichkeit zur exponierten Aufstellung von Artillerie und Truppen. Von West nach Ost zog sich als wichtiger Verkehrsweg der Hellweg durch die Landschaft. Heute folgt man der A2, der A44 oder der B1 von Westen kommend, um in die Gegend zu gelangen. 1761 nahmen sich die Verkehrswege unbefestigt mangelhaft aus. Bei starkem Regen verwandelten sich diese „Straßen“ regelmäßig in einen Morast. Für Geschütze und Gespanne des Nachschubtrosses eine echte Herausforderung. Dagegen boten einige Gehöfte der Region der Infanterie gute Verteidigungsmöglichkeiten. Das also waren die Bedingungen, unter denen die Riesenheere bei Hamm 1761 aufeinandertrafen.


                                Das Schlachtfeld aus der französischen Sicht
                                

1761 – Peripetie des Krieges?

Erschöpfung – so lässt sich der Zustand der Kriegsparteien im 5. Kriegsjahr beschreiben. Die Preußen waren zu offensiven Aktionen nicht mehr imstande und bezogen im Sommer das befestigte Lager bei Bunzelwitz. Kolberg fiel ebenso wie Schweidnitz. In den Amerikas hatten die Franzosen die Initiative bereits an die Engländer verloren. Montreal und Dominica waren an die Briten gefallen. In dieser Situation hatte der Herzog von Choiseul, Staatssekretär für äußere Angelegenheiten, den eigenen Kommandeuren enge Ziele gesetzt. Diese sollten 1761 günstige Bedingungen für einen Waffenstillstand erkämpfen. Das hatten Engländer, Hannoveraner und Braunschweiger auf der anderen Seite zu verhindern.

Gegen diesen Trend zur Ermüdung war in Westdeutschland Ferdinand von Braunschweig zur Offensive angetreten. Sein Bruder, der Erbprinz, sollte den Franzosen Hessen wegnehmen. Westfalen dagegen wurde gesichert. Hierzu ließ man Rüthen und Lippstadt befestigen. Den Einwohnern war es gleichgültig, denn für sie bedeuteten die Maßnahmen, egal von wem sie angeordnet wurden, Belastungen und Arbeit. Schanz- und Transportarbeiten genauer gesagt, die noch dazu von französischen Streifkorps in Scharmützeln gestört wurden.

Zur Offensive in Hessen traten im Frühjahr neben den Truppen des Erbprinzen auch Einheiten aus Göttingen an. Die standen unter dem Kommando General Spörckens. Erstes Ziel war Kassel. Eine Belagerung sollte die Franzosen vertreiben. Bereits das misslang Ende März 1761. Und so zogen sich Herzog Ferdinand ins Paderborner Land und der Erbprinz ins Münsterland zurück. Nur Spörken verblieb in der Nähe von Kassel in Warburg.

Fehlten nur noch die Franzosen. Unter dem Kommando des Prinzen von Soubise zogen die ihre Kräfte bei Düsseldorf, Wesel und Rees zusammen. Damit rückte Westfalen als Schauplatz einer größeren Auseinandersetzung in den Fokus.

Hessische Husaren, die bis Soest, Werl und Dortmund vorstießen, übernahmen die Beobachtung der Franzosen. Unterdessen bereiteten sich Münster und Lippstadt auf die Verteidigung vor.

Der französische Plan sah nun seinerseits vor, in zwei Gruppen vorzustoßen. Eine Gruppe hatte vom Niederrhein die britischen Alliierten in Westfalen festzuhalten, die andere sollte von Hessen aus Hannover und Braunschweig erobern.

Aufmarsch und Aufstellung

Ende Juni brachen die Franzosen vom Niederrhein und von Hessen auf. Am 6. Juli vereinigten sich beide Armeen unter ihren Kommandeuren  Charles de Rohan, Prince de Soubise und Victor-François de Broglies  bei Soest. Eine für die währenddessen bis Hamm vorgestoßene Armee Ferdinands gefährliche Situation.

Die Massierung so großer Truppenmassen in der ärmlichen Region bedeutete für die Zivilbevölkerung enorme Lasten. Entnahmen von Brennholz, Hausrat, Zugtieren und Futtermitteln sowie Zwangsrekrutierungen, Verpflichtungen als Trossknechte, Beschlagnahme von Lebensmitteln – die ausgepumpte Region litt unsäglich, die vielbeschworene Ritterlichkeit der Kriegsführung blieb ein Phantasiegebilde des kämpfenden Adels. Einfache Bürger auf dem Land profitierten nicht wirklich von der „gezähmten Bellona“.

Für die Armeen tat das Wetter ein Übriges. Die Chroniken verzeichnen für den Frühsommer 1761 in Westfalen einen steten Wechsel von heftigen Niederschlägen, Gewittern, Hagelschlag und Hitze. Die dürftigen Wege wurden teils unpassierbar.

Zwischen Hamm und Soest trafen die feindlichen Armeen nun aufeinander. Diese setzten sich auf alliierter Seite aus Hannoveranern, Briten, Braunschweigern, Hessen und Preußen zusammen. Ihnen stand das Heer aus zahlenmäßig weit überlegenen Franzosen gegenüber. Dabei geschah die Aufstellung der Truppen in Umkehrung der eigentlichen geopolitischen Ausgangslage im Kriegstheater. Anders gesagt: Die Franzosen kamen aus Soest, d. h. aus dem Osten, die Engländer und ihre Verbündeten aus Hamm, also dem Westen. Ferdinand von Braunschweig achtete darauf, Hamm und die Lippeübergänge in seinem Rücken zu sichern. Von Hamm aus gesehen bildeten die Briten und Lord Granby den linken Flügel seiner Streitmacht, unterstützt von Truppen des hessischen Generals Wutgenau.

Dem Dorf Vellinghausen kam wegen der Landstraße zwischen Hamm und Lippstadt auf dem Gefechtsfeld Bedeutung zu. Die weitere Linie Ferdinands bildeten Einheiten des Prinzen von Anhalt sowie britische Korps unter Howard und Cornwall. Unter den Einwohnern erregten die prächtigen Bergschotten Aufsehen, die im Verlauf der Schlacht einen hohen Tribut zahlen sollten.

Ferdinand selbst bezog etwas rückwärtig im Haus Hohenover sein Hauptquartier.


 


Karte der Schlacht von Vellinghausen, von John Fawkes, britishbattles.com, abgerufen am 05.03.2019, 17:00 Uhr


Als Reserve auf der anderen Seite der Lippe hielt sich Spörcken bereit. Granby hatte auf dem sanften Dinkerberg Position bezogen, wo er später unter Druck geriet und durch 12- und 6-Pfünder Geschütze entscheidende Unterstützung erhielt. Das Schlachtfeld wurde durch die Ahse, einen Nebenarm der Lippe, geteilt. Das Flüsschen lag an der Nahtstelle der französischen Aufstellung. Von Soest aus die rechte Flanke der Franzosen zwischen Lippe und Ahse bildete die Armee Broglies, die linke, etwas zurückhängende Flanke, die Soubises.

Die Franzosen waren mit dieser Aufstellung von ihren Basen am Rhein abgeschnitten, die Schlacht damit unvermeidlich geworden. Die Truppen waren auf 70.000 Alliierte und 140.000 Franzosen angewachsen.


Die Schlacht

Die Tage vor der eigentlichen Schlacht waren von Vorpostengefechten, Geplänkel und bewaffneten Aufklärungen geprägt. Im Zuge dieser Aktionen wäre Broglie beinahe von preußischen Husaren gefangen genommen worden. Er konnte entkommen, allein sein Fernrohr und sein Hut fielen in die Hände des Feindes.

Am 15. Juli 1761 um 16:00 beginnt die Schlacht. Sie konzentriert sich auf zwei Punkte. Das Dorf Vellinghausen und Umgebung sowie den Ort Scheidingen.

An der ganzen Linie, die sich kilometerweit durch die Landschaft zog, wurde also nicht gekämpft. Schlachten des 18. Jahrhundert kannten weder das Prinzip des totalen noch des Vernichtungskrieges. Es galt, begrenzte taktische Ziele zu erreichen. Friedrich der Große bildete mit seinen oft sehr verlustreichen Kämpfen im Osten, etwa bei Kunersdorf, eine Ausnahme. Die Armeen waren den Befehlshabern viel zu wertvoll, um sie in einer Schlacht komplett aufs Spiel zu setzen.

Und so beginnt der Angriff mit einem taktischen Vorstoß Broglies bei Vellinghausen, in dessen Nähe eine wichtige Straße verläuft. Drei Kolonnen rücken vor. Der Angriff ist mit Soubise nicht abgestimmt. Die Koordinationsprobleme beider Befehlshaber bilden die Basis für die spätere Niederlage.

Nichtsdestotrotz: Granbys Vorposten im Dorf müssen weichen und auch auf dem Dinkerberg geraten die Briten unter Druck. Versuche der Alliierten, Terrain gutzumachen, scheitern zunächst. Angriff und Abwehr werden von der Artillerie beider Seiten massiv unterstützt. Anhöhen und bewaldetes Gelände vermindern jedoch die Wirkung. Sonst wären die Verluste wahrscheinlich erheblich größer ausgefallen. Ferdinands befohlener Gegenangriff auf Vellinghausen jedenfalls misslingt zunächst. Der hessische General Wutgenau und die britische Legion müssen zurück, nachdem die französischen Brigaden Du Roy und Dauphin eingreifen. Gegen 22:00 wird Vellinghausen von den Alliierten gänzlich aufgegeben. Die Kämpfe flauen ab. Die Nacht nutzen beide Seiten, um Verstärkungen heranzuführen.

Für die zurückgebliebenen Bewohner ist das Feuer ein Inferno. Eine Mutter und ihr Kind werden von einer Kanonenkugel getötet. Häuser, Bäume und Ställe werden von Geschossen regelrecht durchlöchert.

Mit dem Morgengrauen des 16. Juli beginnt nicht nur der Kampf um Vellinghausen erneut, auch im Abschnitt des Prinzen de Soubise wird nun gekämpft. Ab 6 Uhr greifen dessen Truppen vor dem Ort Scheidingen bei Welver an. Die Entscheidung fällt allerdings zunächst im Abschnitt Broglies. Um 9 Uhr platzieren die Franzosen Artillerie auf einer taktisch wichtigen Anhöhe, dem Parenberg. Ferdinand erkennt die Gefahr und befiehlt den Angriff.

Was nun geschieht, kann nur als Katastrophe für die Franzosen bezeichnet werden. Unter dem Druck des britisch-deutschen Angriffs brechen die französischen Linien komplett zusammen. Die Franzosen nehmen Reißaus, so schnell, dass nur noch Kavallerie sie einholen könnte. Das komplette Regiment Rougé wird gefangen genommen, der Befehlshaber selbst schwer verwundet. Er wird später seinen Verletzungen erliegen, wie weitere Kommandeure auch.

Broglie befiehlt nun den allgemeinen Rückzug, dem Soubise sich anschließt. Um 12:00 Uhr am 16. Juli sind alle Kampfhandlungen beendet.


                                Erinnerungskultur im Heimathaus Welver

Epilog

Die Verluste der Franzosen betragen rund 5000 Mann, 19 Kanonen und 9 Fahnen. Die Alliierten verlieren 1348 Mann und drei Kanonen, sie behaupten aber das Schlachtfeld, die Franzosen ziehen sich unter chaotischen Umständen nach Soest zurück. Beide Armeen verbleiben noch einige Zeit in der Region und strapazieren die Haushalte weiter. Die Bewohner sind nun nicht nur mit Toten und Verwundeten überfordert, auch die Plünderungen von Hausrat und Holz gehen unvermindert weiter. Felder sind zertrampelt, Häuser verwüstet.

Strategisch sind jetzt keine Bewegungen mehr möglich, das Jahr 1761 bringt keine weiteren großen Auseinandersetzungen. Broglie und Soubise haben sich endgültig überworfen. Es ist Napoleon, der über die beiden bei Vellinghausen ein vernichtendes Urteil fällt. Zögern, Zaudern und Uneinigkeit macht er als Ursachen für das französische Desaster aus.

Auf der anderen Seite steht Ferdinand, der Friedrich dem Großen nach dem Siebenjährigen Krieg bei einem Besuch auf dem Schlachtfeld die Ereignisse persönlich schildert. Der Sieg ist sein Verdienst, überlegene Führung und die Disziplin seiner Truppen haben die zahlenmäßige Überlegenheit der Franzosen klar neutralisiert.

Kurzversion eines Fachbeitrages aus dem Jahre 2019.