Prolog
Allein die Zahlen klingen Atem
beraubend: 140.000 Franzosen unter den Kommandeuren Soubise und Broglie treffen
auf 70.000 Mann der Verbündeten Preußens unter Ferdinand von Braunschweig,
einem der genialsten Militärs seiner Zeit. Der Ausgang bei solchen
Kräfteverhältnissen müsste eigentlich klar sein. Wäre es nicht geradezu eine
Kunst für die Franzosen, eine solche Schlacht zu verlieren? Man wird sehen…
Doch vorher wollen wir uns den Kampf
im Herzen Westfalens selbst anschauen. Das geschieht in vier Schritten:
Historische und geografische Einordnung, Beschreibung der Armeen, Erläuterung
des Schlachtverlaufs und der Folgen. Ich habe für meine Darstellung weit
zurückgreifen müssen. Eine regionalgeschichtliche Arbeit des Lehrers Heinrich
Dreckhoff aus dem Jahre 1907 und eine landschaftsgeografisch angelegte Arbeit
von Friedrich Menneking aus dem Jahre 1988 dienten als Basis für diese
Darstellung. Ergänzt habe ich die schriftlichen Quellen durch eine Begehung vor
Ort, um mir einen Eindruck von den geografischen Dimensionen zu machen.
Denkmal am Straßenrand
Geografie und Geschichte
Die am 15. und 16. Juli 1761 geschlagene
Schlacht bei Vellinghausen war Teil des Siebenjährigen Krieges (1756-1763) in
Westdeutschland. Sie fällt also in die Endphase dieses weltweiten Konfliktes
zwischen England und Preußen auf der einen Seite sowie Frankreich, Österreich,
Russland, dem Reich und Schweden auf der anderen Seite. In Vellinghausen
standen sich Franzosen und Engländer sowie deutsche Kontingente gegenüber.
Hinzu kamen einige nach Westen abkommandierte preußische Einheiten, Husaren,
die an bewaffneten Aufklärungsaktionen beteiligt waren. Hier im Westen hielt
Herzog Ferdinand von Braunschweig Friedrich dem Großen den Rücken frei. Immer
wieder parierte dieser geniale Kommandeur Angriffe großer französischer Armeen
zwischen Bremen und Frankfurt/Main. So bei Krefeld (1758), Minden (1759) und
Warburg (1760). Letztere schaffte es sogar in Stanley Kubricks „Barry Lyndon“
zu filmischem Ruhm. Vellinghausen ordnet sich hier also lückenlos ein.
Das Schlachtfeld von Vellinghausen
liegt zwischen Hamm und Lippstadt. Nördlich wird das Gebiet von der Lippe
abgegrenzt, südlich schlängelt sich die Ruhr über Schwerte bis Wickede.
Strategisch wichtig waren in der Region die befestigten Plätze in Hamm, Soest
und weiter nördlich Münster, das mehrfach belagert und erobert wurde.
Erwähnenswert sind auch die Basen der Armeen in Unna, das ebenfalls in der Nähe
zum Schauplatz liegt und Werl am Rande des Operationsgebietes. Anders als der
Kriegsschauplatz in Hessen ist das Gebiet relativ flach, von Äckern, Dörfern,
Höfen, Hecken und Wäldern geprägt. Einige sanfte Höhenzüge, hier ist der
Dinkerberg zu erwähnen, bieten Schutz und die Möglichkeit zur exponierten
Aufstellung von Artillerie und Truppen. Von West nach Ost zog sich als
wichtiger Verkehrsweg der Hellweg durch die Landschaft. Heute folgt man der A2,
der A44 oder der B1 von Westen kommend, um in die Gegend zu gelangen. 1761
nahmen sich die Verkehrswege unbefestigt mangelhaft aus. Bei starkem Regen
verwandelten sich diese „Straßen“ regelmäßig in einen Morast. Für Geschütze und
Gespanne des Nachschubtrosses eine echte Herausforderung. Dagegen boten einige
Gehöfte der Region der Infanterie gute Verteidigungsmöglichkeiten. Das also
waren die Bedingungen, unter denen die Riesenheere bei Hamm 1761
aufeinandertrafen.
1761 – Peripetie des Krieges?
Erschöpfung – so lässt sich der
Zustand der Kriegsparteien im 5. Kriegsjahr beschreiben. Die Preußen waren zu
offensiven Aktionen nicht mehr imstande und bezogen im Sommer das befestigte
Lager bei Bunzelwitz. Kolberg fiel ebenso wie Schweidnitz. In den Amerikas
hatten die Franzosen die Initiative bereits an die Engländer verloren. Montreal
und Dominica waren an die Briten gefallen. In dieser Situation hatte der Herzog
von Choiseul, Staatssekretär für äußere Angelegenheiten, den eigenen
Kommandeuren enge Ziele gesetzt. Diese sollten 1761 günstige Bedingungen für
einen Waffenstillstand erkämpfen. Das hatten Engländer, Hannoveraner und
Braunschweiger auf der anderen Seite zu verhindern.
Gegen diesen Trend zur Ermüdung war in
Westdeutschland Ferdinand von Braunschweig zur Offensive angetreten. Sein
Bruder, der Erbprinz, sollte den Franzosen Hessen wegnehmen. Westfalen dagegen
wurde gesichert. Hierzu ließ man Rüthen und Lippstadt befestigen. Den
Einwohnern war es gleichgültig, denn für sie bedeuteten die Maßnahmen, egal von
wem sie angeordnet wurden, Belastungen und Arbeit. Schanz- und
Transportarbeiten genauer gesagt, die noch dazu von französischen Streifkorps
in Scharmützeln gestört wurden.
Zur Offensive in Hessen traten im
Frühjahr neben den Truppen des Erbprinzen auch Einheiten aus Göttingen an. Die
standen unter dem Kommando General Spörckens. Erstes Ziel war Kassel. Eine
Belagerung sollte die Franzosen vertreiben. Bereits das misslang Ende März 1761.
Und so zogen sich Herzog Ferdinand ins Paderborner Land und der Erbprinz ins
Münsterland zurück. Nur Spörken verblieb in der Nähe von Kassel in Warburg.
Fehlten nur noch die Franzosen. Unter
dem Kommando des Prinzen von Soubise zogen die ihre Kräfte bei Düsseldorf,
Wesel und Rees zusammen. Damit rückte Westfalen als Schauplatz einer größeren
Auseinandersetzung in den Fokus.
Hessische Husaren, die bis Soest, Werl
und Dortmund vorstießen, übernahmen die Beobachtung der Franzosen. Unterdessen
bereiteten sich Münster und Lippstadt auf die Verteidigung vor.
Der französische Plan sah nun seinerseits
vor, in zwei Gruppen vorzustoßen. Eine Gruppe hatte vom Niederrhein die
britischen Alliierten in Westfalen festzuhalten, die andere sollte von Hessen aus
Hannover und Braunschweig erobern.
Aufmarsch und Aufstellung
Ende Juni brachen die Franzosen vom
Niederrhein und von Hessen auf. Am 6. Juli vereinigten sich beide Armeen unter
ihren Kommandeuren Charles de Rohan,
Prince de Soubise und Victor-François de Broglies bei Soest. Eine für die währenddessen bis Hamm
vorgestoßene Armee Ferdinands gefährliche Situation.
Die Massierung so großer Truppenmassen
in der ärmlichen Region bedeutete für die Zivilbevölkerung enorme Lasten.
Entnahmen von Brennholz, Hausrat, Zugtieren und Futtermitteln sowie Zwangsrekrutierungen,
Verpflichtungen als Trossknechte, Beschlagnahme von Lebensmitteln – die
ausgepumpte Region litt unsäglich, die vielbeschworene Ritterlichkeit der
Kriegsführung blieb ein Phantasiegebilde des kämpfenden Adels. Einfache Bürger
auf dem Land profitierten nicht wirklich von der „gezähmten Bellona“.
Für die Armeen tat das Wetter ein
Übriges. Die Chroniken verzeichnen für den Frühsommer 1761 in Westfalen einen
steten Wechsel von heftigen Niederschlägen, Gewittern, Hagelschlag und Hitze.
Die dürftigen Wege wurden teils unpassierbar.
Zwischen Hamm und Soest trafen die
feindlichen Armeen nun aufeinander. Diese setzten sich auf alliierter Seite aus
Hannoveranern, Briten, Braunschweigern, Hessen und Preußen zusammen. Ihnen
stand das Heer aus zahlenmäßig weit überlegenen Franzosen gegenüber. Dabei
geschah die Aufstellung der Truppen in Umkehrung der eigentlichen
geopolitischen Ausgangslage im Kriegstheater. Anders gesagt: Die Franzosen
kamen aus Soest, d. h. aus dem Osten, die Engländer und ihre Verbündeten aus
Hamm, also dem Westen. Ferdinand von Braunschweig achtete darauf, Hamm und die
Lippeübergänge in seinem Rücken zu sichern. Von Hamm aus gesehen bildeten die
Briten und Lord Granby den linken Flügel seiner Streitmacht, unterstützt von
Truppen des hessischen Generals Wutgenau.
Dem Dorf Vellinghausen kam wegen der
Landstraße zwischen Hamm und Lippstadt auf dem Gefechtsfeld Bedeutung zu. Die
weitere Linie Ferdinands bildeten Einheiten des Prinzen von Anhalt sowie
britische Korps unter Howard und Cornwall. Unter den Einwohnern erregten die
prächtigen Bergschotten Aufsehen, die im Verlauf der Schlacht einen hohen
Tribut zahlen sollten.
Ferdinand selbst bezog etwas
rückwärtig im Haus Hohenover sein Hauptquartier.
Karte der Schlacht
von Vellinghausen, von John Fawkes, britishbattles.com, abgerufen am
05.03.2019, 17:00 Uhr
Als Reserve auf der anderen Seite der
Lippe hielt sich Spörcken bereit. Granby hatte auf dem sanften Dinkerberg
Position bezogen, wo er später unter Druck geriet und durch 12- und 6-Pfünder
Geschütze entscheidende Unterstützung erhielt. Das Schlachtfeld wurde durch die
Ahse, einen Nebenarm der Lippe, geteilt. Das Flüsschen lag an der Nahtstelle der
französischen Aufstellung. Von Soest aus die rechte Flanke der Franzosen
zwischen Lippe und Ahse bildete die Armee Broglies, die linke, etwas
zurückhängende Flanke, die Soubises.
Die Franzosen waren mit dieser
Aufstellung von ihren Basen am Rhein abgeschnitten, die Schlacht damit
unvermeidlich geworden. Die Truppen waren auf 70.000 Alliierte und 140.000
Franzosen angewachsen.
Die
Schlacht
Die Tage vor der eigentlichen Schlacht
waren von Vorpostengefechten, Geplänkel und bewaffneten Aufklärungen geprägt. Im
Zuge dieser Aktionen wäre Broglie beinahe von preußischen Husaren gefangen
genommen worden. Er konnte entkommen, allein sein Fernrohr und sein Hut fielen
in die Hände des Feindes.
Am 15. Juli 1761 um 16:00 beginnt die
Schlacht. Sie konzentriert sich auf zwei Punkte. Das Dorf Vellinghausen und
Umgebung sowie den Ort Scheidingen.
An der ganzen Linie, die sich
kilometerweit durch die Landschaft zog, wurde also nicht gekämpft. Schlachten
des 18. Jahrhundert kannten weder das Prinzip des totalen noch des
Vernichtungskrieges. Es galt, begrenzte taktische Ziele zu erreichen. Friedrich
der Große bildete mit seinen oft sehr verlustreichen Kämpfen im Osten, etwa bei
Kunersdorf, eine Ausnahme. Die Armeen waren den Befehlshabern viel zu wertvoll,
um sie in einer Schlacht komplett aufs Spiel zu setzen.
Und so beginnt der Angriff mit einem
taktischen Vorstoß Broglies bei Vellinghausen, in dessen Nähe eine wichtige
Straße verläuft. Drei Kolonnen rücken vor. Der Angriff ist mit Soubise nicht
abgestimmt. Die Koordinationsprobleme beider Befehlshaber bilden die Basis für
die spätere Niederlage.
Nichtsdestotrotz: Granbys Vorposten im
Dorf müssen weichen und auch auf dem Dinkerberg geraten die Briten unter Druck.
Versuche der Alliierten, Terrain gutzumachen, scheitern zunächst. Angriff und
Abwehr werden von der Artillerie beider Seiten massiv unterstützt. Anhöhen und
bewaldetes Gelände vermindern jedoch die Wirkung. Sonst wären die Verluste
wahrscheinlich erheblich größer ausgefallen. Ferdinands befohlener Gegenangriff
auf Vellinghausen jedenfalls misslingt zunächst. Der hessische General Wutgenau
und die britische Legion müssen zurück, nachdem die französischen Brigaden Du
Roy und Dauphin eingreifen. Gegen 22:00 wird Vellinghausen von den Alliierten
gänzlich aufgegeben. Die Kämpfe flauen ab. Die Nacht nutzen beide Seiten, um
Verstärkungen heranzuführen.
Für die zurückgebliebenen Bewohner ist
das Feuer ein Inferno. Eine Mutter und ihr Kind werden von einer Kanonenkugel
getötet. Häuser, Bäume und Ställe werden von Geschossen regelrecht durchlöchert.
Mit dem Morgengrauen des 16. Juli beginnt
nicht nur der Kampf um Vellinghausen erneut, auch im Abschnitt des Prinzen de
Soubise wird nun gekämpft. Ab 6 Uhr greifen dessen Truppen vor dem Ort
Scheidingen bei Welver an. Die Entscheidung fällt allerdings zunächst im
Abschnitt Broglies. Um 9 Uhr platzieren die Franzosen Artillerie auf einer
taktisch wichtigen Anhöhe, dem Parenberg. Ferdinand erkennt die Gefahr und
befiehlt den Angriff.
Was nun geschieht, kann nur als
Katastrophe für die Franzosen bezeichnet werden. Unter dem Druck des
britisch-deutschen Angriffs brechen die französischen Linien komplett zusammen.
Die Franzosen nehmen Reißaus, so schnell, dass nur noch Kavallerie sie einholen
könnte. Das komplette Regiment Rougé wird gefangen genommen, der Befehlshaber
selbst schwer verwundet. Er wird später seinen Verletzungen erliegen, wie
weitere Kommandeure auch.
Broglie befiehlt nun den allgemeinen
Rückzug, dem Soubise sich anschließt. Um 12:00 Uhr am 16. Juli sind alle
Kampfhandlungen beendet.
Epilog
Die Verluste der Franzosen betragen
rund 5000 Mann, 19 Kanonen und 9 Fahnen. Die Alliierten verlieren 1348 Mann und
drei Kanonen, sie behaupten aber das Schlachtfeld, die Franzosen ziehen sich
unter chaotischen Umständen nach Soest zurück. Beide Armeen verbleiben noch
einige Zeit in der Region und strapazieren die Haushalte weiter. Die Bewohner
sind nun nicht nur mit Toten und Verwundeten überfordert, auch die Plünderungen
von Hausrat und Holz gehen unvermindert weiter. Felder sind zertrampelt, Häuser
verwüstet.
Strategisch sind jetzt keine Bewegungen
mehr möglich, das Jahr 1761 bringt keine weiteren großen Auseinandersetzungen.
Broglie und Soubise haben sich endgültig überworfen. Es ist Napoleon, der über
die beiden bei Vellinghausen ein vernichtendes Urteil fällt. Zögern, Zaudern
und Uneinigkeit macht er als Ursachen für das französische Desaster aus.
Auf der anderen Seite steht Ferdinand,
der Friedrich dem Großen nach dem Siebenjährigen Krieg bei einem Besuch auf dem
Schlachtfeld die Ereignisse persönlich schildert. Der Sieg ist sein Verdienst,
überlegene Führung und die Disziplin seiner Truppen haben die zahlenmäßige
Überlegenheit der Franzosen klar neutralisiert.
Kurzversion eines Fachbeitrages aus dem Jahre 2019.
Kurzversion eines Fachbeitrages aus dem Jahre 2019.