„Alles nass und dreckig hier, man
fault buchstäblich an“, schreibt der Soldat Fritz Niebergall im Januar 1915 von
der Westfront seinen Eltern nach Hause. Socken stehen in seinen Briefen ganz
oben auf der Wunschliste. Der junge Soldat beschreibt ein Phänomen, das bald
zum Horror für die Soldaten aller Nationen werden sollte: Denn neben dem so
genannten „Kriegszittern“ (Englisch „Shell Shock“), den „Kriegszermalmten“, d.
h. durch Granatsplitter schwerst entstellten Soldaten, war der „Grabenfuß“, medizinisch „Immersionsfuß“,
(Englisch „Trench Foot“, Französisch “Pied de tranchée“) eine extrem gefürchtete
Folge des Grabenkampfes im Ersten Weltkrieg.
Bild: "Grabenfuß" eines französischen Soldaten, vermutlich kurz vor der Amputation
Quelle: Bibliothèque et Archives Canada/PA-149311
Vorgeschichte
Vereinzelte Berichte über „Immersionsfüße“
hatte es bereits im 19. Jahrhundert aus Kriegen in Russland gegeben. Das
Phänomen ist durch Dominique Jean Larrey, Feldarzt der „Großen Armee“ in den
Kriegen Napoleons, genauso bezeugt wie aus dem Krimkrieg 1853 bis 1856. Auch
die Balkankriege, die dem Ersten Weltkrieg vorausgehen, kennen diese
Erkrankung, die von Feldchirurgen oft mit der Kälte an den genannten
Kriegsschauplätzen in Verbindung gebracht wird. Zum Massenphänomen wird der
Immersionsfuß aber im Ersten Weltkrieg. Seit Herbst 1914 hatten sich die
Soldaten im Westen vom Ärmelkanal bis zur Schweizer Grenze eingegraben, um sich
vor der verheerenden Wirkung der Artillerie, den Splittern und den
Maschinengewehren wenigstens notdürftig zu schützen. Speziell in
Flandern/Belgien stießen sie dabei nach kurzer Zeit auf Grundwasser. An anderen
Frontabschnitten hatte wochenlanger Regen die Schützengräben in einen Morast
verwandelt. Und in diesem Morast standen Hunderttausende Soldaten auf beiden
Seiten knietief in schlammigem Wasser. Das sollte bald Folgen haben.
Ausbreitung
Verlässliche Daten zur exakten
Ausbreitung des „Grabenfußes“ gibt es nicht. Das hat einen einfachen Grund.
Militärärzte unterschieden den Immersionsfuß zunächst nicht von anderen
Kälteschäden, wie der Wehrmediziner Professor Hans Killian nach dem 2. Weltkrieg
feststellte. Die Sanitätsberichte über das Deutsche Heer des
Reichskriegsministeriums lassen darauf schließen, dass der Schwerpunkt der
Erkrankungswelle in den Jahren 1914/1915 lag. Ab 1915 greifen in allen Armeen
Präventionsmaßnahmen. Auch breitet sich das Phänomen in den Herbst- und
Wintermonaten aus. Der Sanitätsbericht konstatiert: „Im November erfroren sich
vom XXV. Reservekorps 15 Leute die Füße beim Dienst im Laufgraben; bei 14
Soldaten mussten zum Teil die Unterschenkel abgenommen werden.“ Beunruhigend
ist für die Mediziner, dass es nicht der scharfe Frost ist, der die Erkrankung
befördert: „Weitere 150 Erfrierungen wies das Korps auf, trotzdem die
Außentemperatur kaum unter 0 Grad heruntergegangen war.“ Hier stoßen wir zum
ersten Mal auf die typische Erscheinungsform des „Grabenfußes“: Tatsächlich ist
die Kombination aus niedrigen Temperaturen und Nässe, die den „Immersionsfuß“
befördert. Professor Hans Killian weist aus Versuchen und aus der Statistik des
1. Weltkrieges nach, dass diese Kombination für den Soldatenfuß bis zu Temperaturen
von 10-12 Grad verhängnisvoll ist.
Auch die Franzosen leiden
währenddessen unter diesem Phänomen. Hier erkranken z. B. in einem
Kolonialbattalion, das aus 2324 Mann besteht, 233 Soldaten im Frontabschnitt am
Chemin de Dames im feuchten April des genannten Zeitraums. Auch in Frankreich
wird zunächst von Kälteschäden gesprochen. Die sorgfältigste Statistik führen
die Briten: Hier verzeichnen die Militärhistoriker schon im ersten
Kriegshalbjahr 1914 rund 20.000 Fälle. Damit dürfte klar sein, dass spätestens
an der Jahreswende 1914/1915 der „Grabenfuß“ zum Massenphänomen geworden ist.
Voraussetzungen
Die Leitfähigkeit von Wasser ist
20mal höher als die von Luft. Damit ist eine westliche Bedingung für die
Entstehung des „Grabenfußes“ genannt. Grundsätzlich treffen eine feuchte
Umgebung und niedrige Temperaturen aufeinander. Ob man dann letztlich am
„Grabenfuß“ erkrankte, hing sowohl von den Einsatzbedingungen als auch von den
eigenen Voraussetzungen ab. Grundsätzlich waren es die Fronttruppen in den
Schützengräben, die die höchsten Erkrankungsraten aufwiesen. Wehrmediziner
sehen das Problem zwar auch bei scharfem, trockenem Frost. Hier kommt es sicher
zu Erfrierungen. Aber zusätzlich gefährlich wurde es für die Soldaten, wenn zur
Kälte die Nässe hinzukam. War der Soldatenfuß länger als 10 Tage einem
schlammigen Milieu ausgesetzt, ohne den Fuß waschen, trocknen und wärmen zu
können, war die Gefahr extrem hoch. Temperaturen über dem Gefrierpunkt reichten
bereits völlig aus. Kam zur Oberseite des Stiefels dann Matsch und Schnee ins
Schuhwerk, der am Fuß taute, weichte die Haut durch und es konnten zusätzlich
Bakterien die Infektionsgefahr erhöhen. Diese Voraussetzungen waren im Herbst
1914 an der ganzen Westfront gegeben. Kamen dann noch anlagebedingte Gefäßentzündungen,
enge Stiefel, hockende Haltung, Sklerosen bei Rauchern, mangelnde Hygiene und
schlechte, vitaminarme Ernährung bei einzelnen Soldaten hinzu, ergab das die
gefährliche Kombination, die den „Grabenfuß“ beförderte.
Erkrankungsstadien
Bei einer Kombination aus
Feuchtigkeit und Kälte verliert der Fuß zunächst schnell seine Wärme. In den
Schützengräben waren die Soldaten darüber hinaus oft zu absoluter
Bewegungslosigkeit gezwungen. Unter diesen Bedingungen versagt die „natürliche
Klimaanlage“, die unser Gefäßsystem darstellt. Der Aufenthalt im kalten Schlamm
lässt den Fuß bis in die Tiefe auskühlen. Hier liegt der entscheidende
Unterschied des Immersionsfußes zu oberflächlichen Erfrierungen. Der Soldat
bemerkte dies zunächst durch zunehmenden Kälteschmerz im Fuß. Das oft sehr enge
Schuhwerk der Grabenkämpfer, das Tragen mehrerer Paar Socken, schien für den
Betroffenen oft die Ursache des eigenartig ziehenden Tiefenschmerzes zu sein.
Am Anfang versuchter mancher durch Bewegungen der Zehen dem Phänomen
entgegenzuwirken, doch es war vergebens. Dauerte der Aufenthalt im Graben
länger, saß der Soldat in der Hocke, kam die Ablösung nicht, verschlimmerte
sich das Phänomen. Die Arterien wurden zusätzlich abgeklemmt. Nun traten
Parästhesien auf, der Soldat hatte das Gefühl, dass seine Beine „einschlafen“.
Mit der Zeit wurden Fuß und Bein taub, blass, runzelig und marmoriert. Ödeme
traten auf.
Fotoaufnahmen aus dem Ersten
Weltkrieg zeigen, dass die Betroffenen getragen werden mussten. Das Gehen war
den Opfern wegen starker Schmerzen in Ballen und Fersen oft unmöglich geworden.
Dauerte die Kälte- und
Nässewirkung über viele Stunden und Tage an, stellen sich Nekrosen,
irreversible Gewebsveränderungen, ein. Wurden Bein und Fuß jetzt plötzlich
erwärmt, wurden über das Blut Eiweißabbauprodukte
ausgeschwemmt und es kam zu Fieber. Die Haut zeigte sich den Sanitätern jetzt
prall, gespannt, glänzend und hochrot. Teilweise bildeten sich Blasen. In der
Anfangsphase des Krieges jedoch waren Sanitäter und Ärzte oft noch unerfahren:
Verzögerungen und Fehler führten dann am Ende zur Gangrän.
Gegenmaßnahmen
Im Winter 1914/1915 mussten die
Militärärzte laut Sanitätsbericht den Betroffenen mit weit vorangeschrittenen
Krankheitszeichen oft „die Unterschenkel abnehmen“. Die Chirurgen lagen jedoch
bereits richtig als sie bei der Ursachenanalyse eine Kombination aus
„unbewegter Ruhelage der Füße sowie nasses und verengtes Schuhwerk“ vermuteten.
Aus dem Jahre 1916 stammt ein Beitrag von Dr. Dunlap Pearge Penhallow zum
„Trench Foot“. Er ist mit dem Amerikanischen Roten Kreuz in Europa und
schildert Symptome und Gegenmaßnahmen aus der Sicht eines Mediziners. Sein
Beitrag in „Military Surgery“ beschreibt den entscheidenden
Erkenntnisfortschritt der Zeit: Der „Grabenfuß“ ist hier nicht länger ein
„Frostproblem“, er ist ein „Feuchtigkeitsproblem“. Wie sonst konnte man
erklären, dass diese Erscheinung auch bei Temperaturen weit über dem
Gefrierpunkt auftrat? Es war diese Erkenntnis, die wirksame Gegenmaßnahmen
einleitete.
Bei rechtzeitiger Diagnose, so
Penhallow, sei dem Problem noch mit Bettruhe, Schmerzstillung, Bädern sowie dem
Einreiben mit Lotionen und Alkohol beizukommen.
Um es nicht zur gefürchteten
Amputation kommen zu lassen, rückt er die Prävention in den Vordergrund. Die
Stiefel dürfen seiner Ansicht nach nicht zu eng sein, um auch das Tragen von
zwei Paar Socken problemlos zu ermöglichen. Wasserabweisende Behandlung der
Stiefel und das regelmäßige Wechseln der Socken sind für ihn ein weitere
wichtige Prophylaxe-Faktoren. Einmal in 24 Stunden sollen die Stiefel
ausgezogen, die Füße von Kameraden oder Sanitätern inspiziert, abgetrocknet und
gewärmt werden. Auch die Schützengräben selbst nimmt er ins Visier. Abtritte
aus Holz, Dämmungen, Pumpen und Stroh sollen die Durchnässung mildern und damit
die Ursache wirksam bekämpfen. Die Maßnahmen werden an der Westfront umgesetzt.
Der „Grabenfuß“ verschwindet zwar nicht, seine schrecklichen Folgen können aber
in den letzten Kriegsjahren gemildert werden.
Epilog
Und nach dem Ersten Weltkrieg?
Die Geschichte des „Grabenfußes“ war nicht zu Ende. Von den Stränden der
Normandie 1944, über den Krieg in Vietnam (“Dschungelfäule“) bis zum
Falklandkrieg blieb diese Erkrankung trauriger Begleiter der Soldaten in vielen
Kriegen.
Bild 2: In Soldatenzeitschriften wurde vor den Folgen der Erkrankung gewarnt
Doch nicht nur da: Noch 1985 registrierte die Bundeswehr Beeinträchtigungen bei längeren Übungen. Sicher wissen Militärärzte heute weit mehr über Vorbeugung, doch nicht immer lässt die Realität des Einsatzes die notwendigen Maßnahmen zu.
Fachbeitrag erschienen OST / Stefan Slaby 2014
Bild 2: In Soldatenzeitschriften wurde vor den Folgen der Erkrankung gewarnt
Doch nicht nur da: Noch 1985 registrierte die Bundeswehr Beeinträchtigungen bei längeren Übungen. Sicher wissen Militärärzte heute weit mehr über Vorbeugung, doch nicht immer lässt die Realität des Einsatzes die notwendigen Maßnahmen zu.
Fachbeitrag erschienen OST / Stefan Slaby 2014
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