Montag, 4. September 2017

Die Nacht oder die Preußen – Rückblick auf den 200.Jahrestag der Schlacht von Waterloo


Ja, die Waterloo-Jahrestage: 1915 befand sich Europa im Ersten Weltkrieg. 1965, 150 Jahre danach, im Kalten Krieg. Nun, 200 Jahre nach der historischen Schlacht, sollte das Jubiläum endlich angemessen begangen werden. Ohne Zweifel: Reenactements hat Waterloo regelmäßig gesehen. Doch was sich der Gedenkverein VoG Bataille de Waterloo 1815 diesmal vorgenommen hatte, stellte alles in den Schatten: 5000 Statisten, 300 Pferde und 100 Kanonen ließen die Schlacht am 19. und 20. Juni 2015 noch einmal auferstehen. Hinzu kamen Ausstellungen, Feldlager und Lichtanimationen, die den Beobachter auch atmosphärisch in die Zeit des frühen 19. Jahrhunderts zurückversetzen sollten. Am Ende würden einige Zuschauer das Reenactement womöglich mit Dino de Laurentiis Leinwand-Epos „Waterloo“ von 1970 messen. Konnte das auch ohne Christopher Plummer, Rod Steiger und Orson Welles in den Hauptrollen gelingen?
Bildergebnis für waterloo reenactment
Zum Jubiläum der Schlacht 2015 gab es ein spektakuläres Reenactement

Das Schlachtfeld heute

Das Schlachtfeld von Waterloo ist in Struktur und Bauten sehr gut erhalten. Anders als in Leipzig (1814) oder Minden (1759) ist die Walstatt in Belgien landschaftlich optisch noch nachvollziehbar. Der Kampfplatz liegt an der Straße von Charleroi nach Brüssel. Deutsche Touristen nähern sich meist von Norden aus Holland oder von Osten aus dem Aachener Raum und Lüttich.

Die meist internationalen Gäste lassen die anderen Schauplätze des Waterloo-Feldzuges vielfach links liegen: Dabei trafen die Armeen Napoleons und der Alliierten 1815 in kurzen Abständen bei Ligny, Wavre und Quatre Bras aufeinander. Doch die Besucher zieht es oft sofort nach Waterloo, der Schlacht, die wie keine andere für endgültiges menschliches und militärisches Scheitern steht.

Waterloo selbst ist ganz auf den Schlachtfeld-Tourismus eingestellt. Ein Wellington-Museum, Gastronomie und Andenkenläden erwarten die Gäste. Eine Sonderedition Wein, Magnete, Schlüsselanhänger, T-Shirts, Kappen und sogar Comics: Es sind teils skurrile Devotionalien, die der Besucher erwerben kann. Nach mehrstündiger Autofahrt vom Niederrhein entscheide ich mich für einen Brieföffner und ziehe zu Fuß weiter. Parkplätze sind rar an den Tagen des Jubiläums…

Nähert sich der Besucher dem Gefechtsort, dann fällt zunächst das Löwendenkmal ins Auge. 45 Meter hoch hat es die niederländische Regierung an der Stelle errichten lassen, wo Prinz Wilhelm von Oranien verwundet wurde. Ich bezahle den Eintritt und steige, wie schon oft, die Stufen zum Löwen hinauf. Wer außer Atem die Spitze erreicht, dem bietet sich ein einzigartiger Blick auf das Schlachtfeld. Eine Tafel zeigt die Schlachtordnung und die Schlüsselplätze der Auseinandersetzung. Dort in der Mitte, La Haye Sainte, umkämpft den ganzen Tag, dahinter La Belle Alliance, Treffpunkt von Blücher und Wellington am Abend, zur Rechten Hougoumont, Ziel des französischen Angriffs zum Auftakt der Schlacht. An diesem Tag fallen zusätzlich das Camp der Statisten und die riesigen Tribünen für das Reenactement ins Auge. Der Rest des Feldes sind Äcker, Wiesen und Hohlwege. Die Orte und Plätze lassen das Inferno des 18. Juni nur ahnen: Pferdegetrappel, Rauchschwaden, Salven, Kanonendonner, die heiseren Befehle der Offiziere…

Wer das nachempfinden will, steigt den Löwenhügel wieder herab. In einem Kuppelsaal am Fuße des künstlichen Berges werden Bilder, Gegenstände und Geräusche zu einer Collage der Schlacht animiert. Wer sich näher informieren will, sollte die Literatur im Shop nicht außer Acht lassen. Übrigens: Wer das Gefechtsfeld näher und im weiteren Umkreis erkunden möchte, tut das am besten zu Fuß oder mit dem Rad. Der Weg führt den Besucher dann nach Papelotte zur Linken des Löwen oder nach Plancenoit, dem Standort des preußischen Denkmals. Viele Briten dagegen besuchen den Gedenkstein der „Inniskillings“, eines irischen Regiments in der britischen Armee, das bei Waterloo kämpfte. Die Franzosen zieht es nach Le Caillou, dem letzten Hauptquartier Napoleons als Befehlshaber von Streitkräften. Das Gebäude brannte nieder und wurde wieder aufgebaut. Ich entscheide mich für Hougoumont: Arg verfallen war es lange Zeit, nun soll es zum Jahrestag einen guten Eindruck machen. Viel Zeit bleibt nicht, denn um 20:00 Uhr beginnt das Reenactement, „Der französische Angriff“.

Der französische Angriff: Das erste Reenactement

Schon vom Löwenhügel aus sah die Tribüne beeindruckend aus. Nun sammeln sich auf den Plätzen, die sich über einen Kilometer erstrecken, 60.000 Zuschauer, wie von den Organisatoren zu erfahren ist. Im Gegensatz zum Jahre 1815 ist es trocken. Ab 38 Euro haben die Tickets gekostet. Das Event ist seit Monaten ausverkauft. Die Interessenten sind aus aller Welt angereist. Darunter sind auch Menschen, deren Vorfahren in Waterloo kämpften.

Die Erwartungen sind hoch an diesem Tag. „Geschichte erleben!“ Dieses Argument steht bei Statisten und Besuchern als Hauptmotivation ganz oben. Die Zeit bis zum Beginn des Reenactements lässt sich nutzen, um einige Zahlen zu ermitteln: 2.500 kg Schwarzpulver, 100 Ballen Stroh, 30 Stallknechte und ein Tierarzt, 350 historische Gruppen sind aufgeboten. Der Sprengstoff und die Kabel für die Lautsprecher wurden in eigenen Gräben verlegt und mit Torf bedeckt. Ein Küchenzelt für 8000 Gäste und 200 Toiletten schafften die Organisatoren heran. Sicherheitsdienste für die prominenten Gäste standen bereit, denn schließlich waren sogar die Nachfahren von Bonaparte, Wellington und Blücher angereist.

Die statistische Analyse wird plötzlich unterbrochen. Die Uhr zeigt 20:35. Die „französischen“ Kanonen beginnen zu feuern. Auf dem verkleinerten Nachbau des Schlachtfeldes ist die Schlachtordnung des 18. Juni 1815 nachgestellt. Hougoumont mit roten Farben und La Haye Sainte mit weißen „Steinen“ sind deutlich zu erkennen. Die Straße, die das Schlachtfeld teilt, wurde ebenfalls in die Landschaft eingearbeitet. Der Abschuss der Kanonen ist deutlich in den Beinen zu spüren. Rauch hüllt das Gefechtsfeld ein. Jetzt beginnt mit dumpfem Trommelschlag der französische Vormarsch, Takte der Carmina Burana sind zu hören. Nur die Kinder im Publikum verfolgen das Spektakel noch unbefangen. Viele Erwachsene dagegen ringen sichtlich mit ihrer Fassung, sie ahnen wahrscheinlich, welches Gemetzel vor 200 Jahren seinen Anfang nahm…

Kenner der Schlacht sind in den kommenden Stunden damit beschäftigt, die Szenen mit den realen Ereignissen zu verbinden. Ein wenig spiegelt sich der verwirrende Ablauf einer Napoleonischen Schlacht im Geschehen wider. Wie riesige Schachfiguren bewegen sich die Formationen der Franzosen auf Hougoumont zu, „Plänkler“, einzelne Schützenreihen voran. Überraschung lösen bei vielen Zuschauern Frauen und Kinder aus, die den „Regimentern“ in die Schlacht folgen. In Kriegsfilmen der Zeit ist das nie zu sehen. Doch tatsächlich waren die Frauen für die Erstversorgung der Verwundeten zuständig. So überrascht es nicht weiter, dass die älteste Überlebende eine 95-jährige Britin war, die erst 1905 starb. Sie hatte ihrer Mutter bei der Versorgung ihres verwundeten Vaters geholfen und war am Schlachttag erst 5 Jahre alt.

Immer wieder liefert die Moderation des Reenactements wissenswerte Details des Kampfes. Die Plünderung der Opfer gehört zu den finstersten Kapiteln. Sie begann noch in der Nacht. Grauenhaft war auch das Leiden der Pferde. „Ein Pferd“, so wird ein britischer Offizier zitiert, „erregte mein schmerzlichstes Interesse. Es hatte beide Hinterbeine verloren. Die ganze Nacht blickte es umher, als erwarte es Hilfe und stieß immer wieder ein langes melancholisches Wiehern aus.“

Um 21:20 Uhr setzen die Franzosen ein weiteres Mal zum Angriff auf Hougoumont an. Teile des Nachbaus gehen dabei zu Bruch. Nachgestellt werden auch der Angriff Marshall Neys und die legendäre Bildung von Karrees durch die Briten. Neys Kavallerieangriff ohne Unterstützung der Infantrie gilt als schwerer, vielleicht entscheidender, taktischer Fehler. Das Reenactement kommt hier an seine Grenzen. Weder Tempo noch Ausmaß der gewaltigen Attacke sind auch nur im Ansatz darstellbar. Im Film 1970 dagegen ist die Szene von unglaublicher Wucht nachgestellt worden und es fällt nicht schwer, Gerüchte über reale Todesopfer bei den Dreharbeiten zu glauben.

Ein Höhepunkt des Reenactements ist schließlich der Angriff auf La Haye Sainte. La Haye Sainte wurde vom 2. leichten Bataillon der King's German Legion (Königlich Deutsche Legion) besetzt. Nun haben die Statisten der Formation sichtlich Mühe, den Komplex zu halten. Immer wieder feuern die Linien beider Seiten. Gut zu erkennen ist der komplexe Ladevorgang der Musketen. Die Liebe zum Detail ist ein echtes Plus bei diesem Ereignis. Im Film 1970 geht das oft unter.

Weder im Film noch im Reenactement zu sehen ist die Wirkung der Artillerie. Kanonenkugeln prallten oft auf und „hüpften“ einige Male, bevor sie in die dichten Reihen der Battalione einschlugen. Nur im Film „Der Patriot“ ist dies erstmals im Trick dargestellt worden. Haubitzen verschossen Granaten, mit Pulver gefüllte eiserne Hohlkörper, die nach dem Abbrennen einer Zündschnur explodierten: Vor dem Ziel, über dem Ziel oder dahinter, beim nassen Boden in Waterloo oft gar nicht. In Filmdarstellungen ist die Explosion der Granaten wahrscheinlich oft übertrieben dargestellt worden. Sicherlich wäre es lohnenswert, im Rahmen experimenteller Archäologie die Explosion ein pulvergefüllten Granate aus der Zeit Napoleons nachzustellen. Absolut vernichtend war übrigens der Abschuss von Kartätschen. Wie eine Traube waren die Kugeln auf einem Brett, dem „Spiegel“, montiert. Sie zersprangen beim Austritt aus dem Kanonenrohr und wirkten in den Reihen der Angreifer wie ein Schrotschuss. Es ist keine Phantasie notwendig, die Wirkung dieser Geschosse auf die Soldaten beim Fehlen jeglicher Anästhesie nachzuvollziehen…

Teil des Reenactements ist auch der Einsatz der „Scots Greys“ der britischen Kavallerie. Die Teilnahme dieser Formation gehörte zu den Wünschen der Veranstalter und tatsächlich reiten die „Furcht erregenden Männer auf ihren Grauschimmeln“ an beiden Tagen „in die Schlacht“.

Die Veranstalter haben auch Details in die Schlacht eingebaut. So wird um 21:57 Prinz Wilhelm von Oranien „verletzt“ vom Schlachtfeld geborgen. Mit dem Angriff der „Alten Garde“ neigt sich das Ereignis dem Ende zu. Wie in der Realität kontern die Rotröcke den Angriff mit Flankenfeuer. Und so bewahrheitet sich, was Clausewitz über Schlachten im napoleonischen Zeitalter schrieb: Sie brennen langsam ab, bis nur Schlacke übrig bleibt.

Am Ende kommt Bonaparte, dargestellt von Frank Sanson, 47 Jahre, Anwalt aus Orleans höchstselbst vom Hügel herunter. Ihm stehen gegenüber Klaus Beckert als Blücher, ausgewählt wegen seiner Ähnlichkeit und seiner Reitkunst. Schließlich Alan Larson als Wellington, Eloquenz und britischer Humor eingeschlossen. Sein Zitat fasst die Schlacht von Waterloo vielleicht am besten zusammen: „Nach einer verlorenen Schlacht ist eine gewonnene Schlacht das traurigste, das es gibt!“

Der französische Offizier Pierre Cambronne fasste sich noch kürzer: “Merde – Scheiße!“, soll er auf die Aufforderung zur Aufgabe geantwortet haben. Und so endet um 22:15 der Tag in Waterloo. Nach dem Reenactement ist diesmal vor dem Reenactement. Morgen beginnt der „Gegenangriff der Alliierten“. Doch das ist eine andere Geschichte.

Dienstag, 21. März 2017

Verdun: Eine Narbe im Land



Verdun heute

Wo der Krieg auch nach 100 Jahren noch lebendig ist

In Azincourt oder Minden findet der Schlachtfeldtourist nichts, was an die Kämpfe vergangener Epochen erinnert. Das Wetter und die Menschen haben alle Schlachtspuren beseitigt.  Was für ein Unterschied ist da eine Reise nach Verdun, an die Somme oder nach Flandern. Nichts beeindruckt so nachhaltig, wie ein Besuch auf den Schlachtfeldern des Großen Krieges. Besucher sehen die Spuren der Schlacht in der Landschaft, sie sehen die Stacheldrahtverhaue, Bunker, Unterstände, ja sie sehen Knochen und Ausrüstung der Gefallenen!



Besonders ausgeprägt ist das in Verdun. Teilweise sieht es dort aus, als hätten die Soldaten ihre Unterstände gerade erst verlassen. Wer Dioramen kreieren will, hier wird er fündig, er kann am Objekt studieren! 2016 bis 2018 wird in Frankreich und Deutschland nun der Schlacht offiziell gedacht.

Die Schlacht

Hier soll  es nicht um eine weitere Schlachtbeschreibung mit allen militärischen Einzelheiten gehen. „Des Ruhmes Lohn“ ist im gleichnamigen Buch hinreichend beschrieben worden. Uns interessiert der Ort. Es ist trotzdem dringend zu empfehlen, eine Schlachtbeschreibung zu lesen, um vor Ort besser suchen und recherchieren zu können. Vorab mögen hier einige nüchterne Zahlen, die der Besucher in den Museen vor Ort erfährt, die Ausmaße und Dimensionen der Kämpfe verdeutlichen:  Die Schlacht von Verdun fand vom 21. Februar bis 19. Dezember 1916 statt. 1917 verlagerten sich die Kämpfe auf das Westufer der Maas zum so genannten Toten Mann (Le Mort Homme) und die Höhe 304. Zu dieser Zeit waren neben Deutschen und Franzosen auch die Amerikaner  unter General Pershing beteiligt, die die Franzosen entlasten sollten.

In den 300 Tagen schwerster Kämpfe wurden rund 50 Millionen Granaten und Wurfminen verschossen. In diesem schier unglaublichen Inferno starben 300.000 Soldaten, 400.000 weitere wurden verwundet und schwer verstümmelt. Häufig erlitten die Soldaten Posttraumatische Stresserscheinungen (PTSD), die sich in lang anhaltendem Zittern, nächtlichen Alpträumen oder „Wahnsinn“ äußerten. Verdun hieß bei den Soldaten Blutpumpe, Knochenmühle oder schlicht „die Hölle“. Durch diese Blutpumpe jagten beide Seiten rund 120 Divisionen, abwechseln durchliefen über 2 Millionen Mann die Schlacht. Hinzu kamen rund 2.500 Geschütze.

Die Deutschen eröffneten den Angriff unter dem Namen „Operation Gericht“ beiderseits der Maas mit dem Ziel, möglichst viele französische Truppen zu binden und zu vernichten. Durch die Schwächung sollten die Entente mit England auseinanderdividiert werden. Das Gegenteil trat ein: Die Briten starteten im Sommer 1916 einen Entlastungsangriff an der Somme. Auch ein Durchbruch zu unweit gelegenen Industriegebieten lag im Kalkül der Heeresleitung. Im Zentrum aller Bemühungen standen die Befestigungen rund um Verdun, ein Sperrgürtel aus so genannten Forts, Namen wie Fort Douaumont und Fort Vaux dominierten in den Berichten beider Seiten. Hier finden sich auch die heftigsten Kampfspuren. Die Schlacht wurde auch zu einem persönlichen Duell der beiden Oberkommandierenden Pétain (Frankreich) und Falkenhayn (Deutschland). „Sie werden nicht durchkommen“, dieses Ziel erreichten die Franzosen. Verdun endete nach Entlastungsoffensiven der Verbündeten Frankreichs mit einer Niederlage des deutschen Westheeres. Die Truppen beider Seiten wiesen eine Qualität auf, wie sie zu keiner Zeit mehr erreicht wurde. 

Das Schlachtfeld

Das Gelände umfasst in Verdun 26.000 Hektar. Ein großer Teil mit den Forts und großen Gedenkstätten östlich der Maas, ein weiteres Gebiet mit den markanten Punkten Le Mort Homme und Höhe 304 westlich davon. Die Kernzone (Zone Rouges) rund um die Forts Douaumont und Fort Vaux nordwestlich der Stadt Verdun wurde nie wieder mit Menschen besiedelt und umfasst rund 10.000 Hektar. Schwermetalle, Arsen, Relikte des Gaskampfes mit Senfgas und Phosgen im Boden ließen Wohngebiete als zu riskant erscheinen. Große Teile des Schlachtfeldes sind mit Wald und Gebüsch bedeckt. Robuste Kleidung und Wanderschuhe muss also mitbringen, wer tiefer in die Geheimnisse und Strukturen des Schlachtfeldes eindringen will. Warnung: Es liegen unbekannte Mengen Blindgänger im Gelände, oft spült der Regen sie an die Oberfläche. Auch zu bedenken: Verdun ist ein großer Friedhof. Knochen liegen an manchen Stellen unbestattet herum. Mit etwas Laub, Pietät und Erde bringt der Besucher die sterblichen Überreste nach Regenfällen wieder unter die Erde.

Der Weg nach Verdun

Nach Verdun gelangt man aus Trier über Luxemburg oder aus Saarbrücken. Der Reisende folgt zunächst der Beschilderung nach Metz. Aus Norden führt der Weg über Landstraßen oder aus Westen über die französische A4. Im letzten Abschnitt folge man der Beschilderung Verdun Champs de Bataille. Auch mit dem Zug ist Metz der erste Anfahrtspunkt, dann weiter bis Meuse. Mietwagen, Auto und Bike sind unerlässlich, zu groß sind die Dimensionen des Schlachtfeldes. Zwei Tage sollte sich der Besucher nehmen. Die Beschilderung ist gut. Viele Wege und Straßen sind vorhanden, nur unmittelbare Erkundungen zu einzelnen Gräben, Bunkern und Unterständen führen durch unwegsames Gelände.

Zwei Tage sollte sich der Besucher nehmen. Für rund 100 Euro gibt es Zimmer in der Stadt Verdun. Führungen lassen sich beim Fremdenverkehrsbüro buchen, ebenso Karten und Broschüren.

Wichtige Stationen

Erstbesucher beginnen die Tour sinnvollerweise im Mémorial von Verdun. Das Museum wurde im Februar 2016 nach zwei Jahren des Umbaus und der Erweiterung wieder geöffnet. Der zirka zweistündige Rundgang für 8 EUR durchs Museum vermittelt alle notwendigen Kenntnisse der Schlacht und widmet sich vor allem dem Leben des einzelnen Soldaten. Der Besucher sollte sich hier unbedingt eine Karte mitnehmen, um den weiteren Besuch gut planen zu können.
 
Weiter geht es zum Beinhaus von Verdun. Der riesige Turm ist weithin zu sehen. Es wurde am 7. August 1932 vom damaligen französischen Staatspräsidenten Albert Lebrun eröffnet. Hier fanden 130.000 unidentifizierte Gefallene ihre letzte Ruhe. Die Fassade trägt die Wappen der Städte, die zur Errichtung dieses Denkmals beigetragen haben.  Der 46 m hohe Turm überragt das gesamte Schlachtfeld, der Besucher steigt hinauf und hat einen guten Blick über das gesamte Areal.



Blick vom Beinhaus über das Schlachtfeld von Verdun

Das Beinhaus besteht aus 22 Abteilungen mit 46 Grabzellen aus Granit. Die Zellen sind nach Abschnitten des Schlachtfeldes geordnet und enthalten Gebeine, die im jeweiligen Abschnitt gefunden wurden. Vor dem Beinhaus liegt der Soldatenfriedhof von Douaumont, hier wurden 15.000 bekannten französischen Soldaten begraben.



Der Turm des Beinhauses, Schauplatz der historischen Begegnung von Francois Mitterand und Helmut Kohl

Vom Beinhaus führt uns der Weg zum so genannten Bajonettgraben. Am 12. Juni 1916  wurde eine Einheit des französischen 137. Infanterieregiments der Überlieferung nach lebendig verschüttet. Als einziger Hinweis auf die Soldaten ragen die Bajonettspitzen bzw. Gewehrspitzen einige Zentimeter aus der Erde. Anderslautenden Angaben zufolge haben deutsche Soldaten das Grab der Toten mit den Gewehrspitzen nachträglich markiert. 1920 wurde auf Anregung eines amerikanischen Bankiers ein bunkerähnliches  Denkmal an der Stelle des ehemaligen Schützengrabens errichtet.



Bevor es zu den Forts von Verdun geht, sollte der Besucher einen Blick auf eines der zerstörten Dörfer werfen. 9 Dörfer wurden ausgelöscht und nie wieder aufgebaut: Beaumont, Bezonvaux, Cumières, Douaumont, Louvemont, Fleury, Haumont, Louvement, Ornes und Vaux. Heute weisen nur noch Schilder auf diese Dörfer hin, in denen Wohnhäuser, Läden oder öffentliche Institutionen, wie die Schule oder Lebensmittelläden, einzeln ausgeschildert sind.

Der Höhepunkt jeder Verdun-Tour ist ein Besuch der Forts Douaumont und Vaux. Douaumont sollte der Besucher von außen, Fort Vaux auch innen besuchen. Beide Forts gehörten zu den Schlüsselstellungen der Schlacht. Um die Forts herum zeugen die verwitterten Granattrichter einer verwüsteten Landschaft von der Heftigkeit der Kämpfe.



Das Fort Douaumont von außen, die Spuren der Kämpfe sind deutlich zu sehen 

Und dann das Fort Vaux. Hier fanden die wohl furchtbarsten Nahkämpfe der Schlacht statt. Lassen wir Kurt Tucholsky zu Wort kommen, der in der „Weltbühne“ im August 1924 seinen Besuch in diesem Fort für die Nachwelt dokumentiert hat:

„Der Wagen hält. Diese kleine Hügelgruppe: das ist das Fort Vaux. Ein französischer Soldat führt, er hat eine Karbidlampe in der Hand. Einer raucht einen beißenden Tabak, und man wittert die Soldatenatmosphäre, die überall gleich ist auf der ganzen Welt: den Brodem von Leder, Schweiß und Heu, Essensgeruch, Tabak und Menschenausdünstung. Es geht ein paar Stufen hinunter.

Hier. Um diesen Kohlenkeller haben sich zwei Nationen vier Jahre lang geschlagen. Da war der tote Punkt, wo es nicht weiter ging, auf der einen Seite nicht und auf der andern auch nicht. Hier hat es haltgemacht. Ausgemauerte Galerien, mit Beton ausgelegt, die Wände sind feucht und nässen. In diesem Holzgang lagen einst die Deutschen; gegenüber, einen Meter von ihnen, die Franzosen. Hier mordeten sie, Mann gegen Mann, Handgranate gegen Handgranate. Im Dunkeln, bei Tag und bei Nacht. Da ist die Telefonkabine. Da ist ein kleiner Raum, in dem wurde wegen der Übergabe parlamentiert. Am 8. Juni 1916 fiel das Fort. Fiel?  Die Leute mußten truppweise herausgehackt werden, mit den Bajonetten, mit Flammenwerfern, mit Handgranaten und mit Gas. Sie waren die letzten zwei Tage ohne Wasser. An einer Mauer ist noch eine deutsche Inschrift, mit schwarzer Farbe aufgemalt, schwach zu entziffern. Und dann gehen wir ins Verbandszimmer.

Es ist ein enges Loch, drei Tische mögen darin Platz gehabt haben. Einer steht noch. An den Wänden hängen kleine Schränke. Oben ist, durch eine Treppe erreichbar, der Alkoven des Arztes. Ich habe einmal die alte Synagoge in Prag besucht, halb unter der Erde, wohin sich die Juden verkrochen, wenn draußen die Steine hagelten. Die Wände haben die Gebete eingesogen, der Raum ist voll Herzensnot. Dieses hier ist viel furchtbarer. An den Wänden kleben die Schreie – hier wurde zusammengeflickt und umwickelt, hier verröchelte, erstickte, verbrüllte und krepierte, was oben zugrunde gerichtet war. Und die Helfer? Welcher doppelte Todesmut, in dieser Hölle zu arbeiten! Was konnten sie tun? Aus blutdurchnäßten Lumpen auswickeln, was noch an Leben in ihnen stak, das verbrannte und zerstampfte Fleisch der Kameraden mit irgendwelchen Salben und Tinkturen bepinseln und schneiden und trennen, losmeißeln und amputieren...

Linderung? Sie wußten ja nicht einmal, ob sie diese Stümpfe noch lebendig herausbekämen! Manchmal war alles abgeschnitten. Die Wasserholer, die Meldegänger – wohl eine der entsetzlichsten Aufgaben des Krieges, hier waren die wahren Helden, nicht im Stabsquartier! –, die Wasserholer, die sich, mit einem Blechnapf in der Hand, aufopferten, kamen in den seltensten Fällen zurück. Und der nächste trat an . . . Wir sehen uns in dem leeren, blankgescheuerten Raum um. Niemand spricht ein Wort. Oben an dem Blechschirm der elektrischen Lampe sind ein paar braunrote Flecke. Wahrscheinlich Rost...

Vor dem Tor hat man für einige der Gefallenen Gräber errichtet, das sind seltene Ausnahmen, sie liegen allein, und man weiß, wer sie sind. An einem hängt ein kleiner Blechkranz mit silbernen Buchstaben: Mon mari.

Und an einem Abhang stehen alte Knarren, die flachen, schiefgeschnittenen Feldflaschen der Franzosen, verrostet, zerbeult, löcherig. Das wurde einmal an die durstigen Lippen gehalten. Wasser floß in einen Organismus, damit er weitermorden konnte. Weiter, weiter…“

Quelle: Kurt Tucholsky, Vor Verdun, Die Weltbühne, 07.08.1924, Nr. 32, S. 218.

Den Abschluss sollte der Verdun-Besucher vor seiner Rückkehr in die Stadt im freien Gelände machen. Bei der Fahrt mit dem Auto werden Stellungen, Schützengräben und Unterstände angezeigt. Eindrucksvoll ist dabei besonders die Todesschlucht, Ravin de la Mort, unweit von Bajonettgraben und Beinhaus. Zahlreiche Bodenfunde und Schützengräben zeugen von der Heftigkeit der Kämpfe an dieser Stelle.

An diesem Ort besonders intensiven Sterbens sollte noch einmal Tucholsky zu Wort kommen. Sein Satz hat in der Gegenwart für andere Hintergründe nichts von seiner Aktualität eingebüßt:   „Denn das Entartetste auf der Welt ist eine Mutter, die darauf noch stolz ist, das, was ihr Schoß einmal geboren, im Schlamm und Kot umsinken zu sehen.“